Fotos: cc Blaue Blume; Antje Eickhoff

Die Blaue Blume in Friedrichshafen

Bauwagenplatz als Kultur- und experimentelles Wohnprojekt legalisiert

Ein experimenteller Freiraum für Projekte jeglicher Art, eine Ermöglichungsplattform für Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Kunst, Bildung, Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung, Selbstfindung und ein nachhaltiges, achtsames Wohnprojekt in Wagen und fliegenden Bauten. Und das alles im eher braven Touristenstädtchen Friedrichshafen am Bodensee. Ob Konzert, Yoga, Klavierkonzert, Bauchtanz oder Kleidertausch – alles geht und alles findet regen Besucherandrang. Auch aus der Region, die für selbstorganisierte Projekte und alternative Kultur weniger bekannt ist.

Weiterlesen

Projekt

Die Blaue Blume e.V.
Bietet experimentellen Freiraum für Projekte aller Art, ist Wohnprojekt in verschiedenen Wagen und macht Stadtentwicklung für die Stadt von morgen…

Gebäudetyp

Fliegende Bauten und Bauten ohne Fundament (Busse, Bauwagen, und selbstgebaute Konstruktionen)
Mobile Immovielien

Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung

1600 qm

Projektstatus

Nach der Baugenehmigung (Mitte August) und Nachtragsbaugesuch (Ende November) erfolgt die Bauabnahme voraussichtlich im Februar 2018 – Pionierphase.

Das Besondere – Erfolgsbausteine

  • Zusammenarbeit mit und für die Stadt (Bürger, Initiativen, Gemeinderat und Stadtverwaltung).
  • Offenheit für direkte Gespräche mit Verwaltung und Politik sowie gute Pressearbeit.
  • Bei allen Begegnungen das Gestalten einer angenehmen und guten Atmosphäre.
  • Die Besetzung des Windhagerhügels wurde immer mit dem Bemühen und der Forderung nach einer legalen und gemeinsamen Lösung verbunden.
  • Die vielen Kulturveranstaltungen haben zu einem “positiven, friedlichen” Image des Vereins beigetragen.
  • Schlüssel im gesamten Prozess war zum einen, dass alle Dienstleistungen für die Erstellung des Baugesuches pro bono übernommen wurden und der Bauleiter hinter dem Projekt steht, aber gleichzeitig auch einen direkten Draht ins Bauordnungsamt hat. Gleichzeitig mussten aber auch viele einschränkende Kompromisse eingegangen werden.

 

 

Chronologie

Am Anfang


Anfangs lebten mehrere Freunde auf einer Obstwiese mit dem Traum, einen alternativen Kultur- und Lebensraum in Friedrichshafen zu schaffen. Zunächst war die damals noch viel kleinere Blaue Blume bei einer Bäuerin in Manzell – ebenfalls im Westen Friedrichshafens – untergebracht. Dies war jedoch zeitlich begrenzt.

Aufbau


Die intensive Phase begann mit der Besetzung einer Obstwiese auf dem Windhager Hügel im November 2015. Ein Grund für den Umzug waren die erfolglosen verschiedenen Anläufe in Zusammenarbeit mit Stadt, Universität und Architektenkammer einen gesicherten Platz zu finden, die in den vorherigen 2 Jahren scheiterten. Die Blaue Blume war auch mit dem Anliegen, einen Kulturverein in „Movilien“ gründen zu wollen, nicht ernst genommen worden. Um dieses umsetzen zu können und einen „neuen, öffentlichen Freiraum”, eine „Ermöglichungsplattform“ schaffen zu können, und das Projekt zu erhalten, war ein größeres und neues Grundstück jedoch drängende Voraussetzung. Nach langen, schwierigen, internen Diskussionen wurde im Herbst 2015 entschieden einfach umzuziehen. Um das Wort Besetzung zu vermeiden, hieß es: “Die Blaue Blume topft um!”
Zur Einweihung des neuen Standortes startete ein mehrwöchiges, vielseitiges Kulturprogramm. Gleichzeitig wurde erklärt, dass man an einer baurechtlich und juristisch geklärten Zwischennutzung an der Windhager Straße interessiert ist. Dabei betonte die Blaue Blume, dass sie vor allem Kultur für und mit der Stadt machen will und auch weiter an der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung interessiert sei. Durch die Besetzung der Wiese war die Stadt gezwungen, sich mit der Zukunft des Vereins auseinanderzusetzen. Im März 2016 wurde der Tagesordnungspunkt der Blauen Blume kurzfristig von der Agenda des Gemeinderates genommen, da es offene Fragen gab, die zunächst von der Verwaltung beantwortet werden sollten. Das war gut, denn ursprünglich hätte bereits hier eine Entscheidung zur Räumung fallen sollen und so wurde eine negativ formulierte Beschlussvorlage, die das Ende des Projektes bedeutet hätte, im Technischen Ausschuss abgelehnt. Der Schlüssel zur Rettung war hier das direkte Gespräch zwischen Gemeinderatsmitgliedern und der Blauen Blume sowie eine positive Presseberichterstattung. Es zeichnete sich nun ab, dass dem Verein ein alternativer Standort angeboten werden soll.

Der Verein etablierte sich unter anderem durch ein breites Kulturprogramm und die Veranstaltung einer Bauwoche im August 2016. Im Oktober 2016 fanden nichtöffentliche direkte Gespräche zwischen der Stadtverwaltung, dem Verein und auch der Zeppelin Universität statt. Im November setzte dann auch wieder der Beratungsprozess innerhalb der offiziellen Gremien der Stadt ein. Die Blaue Blume war in den nicht öffentlichen Teil einer Gemeinderatssitzung eingeladen worden und hatte hier die Möglichkeit, ihre Vision zu erklären (Vorgestellt wurde das Freiraumkonzept). Nach der Sitzung des Technischen Ausschusses zeichnete sich eine Mehrheit für die Verpachtung des städtischen Geländes ab und es begann die letzte Phase der Öffentlichkeitsarbeit bis in die Gemeinderatssitzung hinein, in der die Presse und Ratsmitglieder neben der allgemeinen Darstellung der unterschiedlichen Meinungen zusätzlich über Kosten und das weitere Vorgehen informiert wurden.

Verstetigung


In der Entscheidung des Gemeinderates im Februar 2017 zur befristeten Verpachtung bis 2021 an den Verein in Kooperation mit der Zeppelin Universität wurde der zeitliche Ablauf des Umsetzungsprozesses in mehreren Phasen festgelegt. Die Stadt verpachtet demnach ihr Grundstück an die Zeppelin Universität und der Vertrag der Blauen Blume besteht zwischen dem Verein und der Uni als Untermietverhältnis. Die Konditionen des Vertrages zwischen Uni und Stadt werden allerdings direkt weitergegeben. Diese Konstruktion wurde ebenfalls mit dem Gemeinderatsbeschluss festgelegt und soll so mehr Sicherheit für die Stadt bringen.

Schon von Anfang an hat die Blaue Blume guten Kontakt zu verschiedenen Architekten, die auch in der Architektenkammer Baden-Württemberg bzw. Bodenseekreis Mitglied sind. Mit diesen wurde nach dem Gemeinderatsbeschluss an den Bedingungen, Plänen und Dokumenten für eine einfache Baugenehmigung gearbeitet. Zudem hat sich das Projekt im Vorfeld mit rechtlichen Problemen anderer Wagenplätze auseinandergesetzt. Um Kosten zu sparen wurde vereinbart, welche Aufgaben von welchen Architekten- und Vermessungsbüros (meist pro bono) übernommen werden und welche in Eigenleistung erbracht werden können: etwa Verkehrszählungen und Zeichnungen der Wagen und anderen fliegenden Bauten. Auch fanden bereits erste Gespräche mit dem Bauordnungsamt, dem Verein und zwei der Architekten statt, um Themen, die im Genehmigungsprozess problematisch sein könnten, vorher zu klären. Bei einigen Themen sah die Verwaltung die Möglichkeit von Befreiungen (z.B. Barrierefreiheit), und bei anderen Themen hingegen, musste leider auf die bauordnungsrechtliche Standardvariante umgestiegen werden (z.B. Toilettenwagen mit Wasseranschluss statt Komposttoilette). Bauwagen werden mit der Baugenehmigung als Gebäude und Neubau klassifiziert. Andere Bauten, die als Lager oder ähnliches genutzt werden, sind, bis auf eine während des Festivals entstandene Sitzbank und eine Skulptur (da findet der Prozess der Genehmigung allerdings noch statt), als nicht genehmigungspflichtig eingeordnet. Der Verein hat zudem für die befristete Befreiung vom B-Plan gezahlt, sodass die Nutzung des Grundstücks für Kultur- und Wohnzwecke auch baurechtlich erlaubt ist.

Auf lange Sicht


Die Bauabnahme wird nun hoffentlich im Februar 2018 endgültig erteilt, aber auch dann steht das Projekt noch immer in politischen Aushandlungsprozessen. Das Einmischen in die Stadtentwicklung bleibt Thema und man will immer mal wieder mit Verwaltung und Politik in die Debatte darüber gehen, ob Freiräume für alternative Kultur und Leben nicht mit weniger Auflagen und Kosten ermöglicht werden können.
Nach der Bauphase hat sich der Verein bis März 2018 einen Winterschlaf verordnet, sodass alle „Blumemenschen“ einmal durchatmen können und wieder neue Kraft für mehr Kulturarbeit tanken können. Auf lange Sicht will sich die Blaue Blume am neuen Standort etablieren, wieder mehr Kultur machen und alternative andere Themen in den Veranstaltungskalender Friedrichshafens bringen. Zudem beteiligen sich Vertreter *innen der Blauen Blume in diesem Frühjahr an einer Überarbeitung der städtischen Kulturvereinsförderrichtlinien und des Kulturentwicklungskonzeptes.

Finanzierung

Die Finanzierung des Vereins und insbesondere des Umzuges basiert seit Beginn auf einer Mischung aus Spenden, die vor allem bei Veranstaltungen gesammelt werden, der Förderung durch Stiftungen in Höhe von insgesamt über 21.000 Euro (u. a. Wüstenrot Stiftung, Anstiftung, Zeppelin Universitätsgesellschaft, und Lena-Weiß Initiative) sowie einer großen Anzahl an Sachspenden und Leihgaben.
Die Finanzierung des Umzuges wurde über eine erhöhte Stiftungsförderung, eine Crowdfunding-Kampagne und durch Sachspenden finanziert. Außerdem wurden fast alle Arbeiten, die für das Baugesuch nötig waren, auf pro bono Basis durchgeführt oder in Eigenleistung übernommen.
Bis zum Jahr 2021 (Ende der Zwischennutzung) wird der Verein nach aktuellem Stand (noch in Verhandlung mit der Stadt um Kosten zu reduzieren/umzuschichten) 35.800 Euro an Stadt und Stadtwerke für Verwaltungs- und Erschließungskosten, sowie Miete gezahlt haben. Das sind ca. 750 Euro monatlich auf 4 Jahre gerechnet. Die Kosten für den Umzug bestehen zu 51 % aus Zahlungen an die Stadt und Stadtwerke.

Organisationsform

Rein rechtlich ist die Blaue Blume als Verein organisiert. Alle Entscheidungen werden konsensdemokratisch getroffen. D.h. in Gesprächen mit der Stadt sind Vertreter des Vereins nicht entscheidungsbefugt sondern es muss erst ein Votum aus dem Verein eingeholt werden.

Kommunikation

Der Verein setzt auf offene Kommunikation, sowohl nach innen als auch nach außen. Dieser Anspruch stößt zuweilen an seine Grenzen, z.B. wenn in direkten Verhandlungen mit der Stadt Verschwiegenheit gefordert wird. Doch der Anspruch bleibt, offen immer alle Akteure in die nächsten Schritte einzubinden (Verwaltung, Gemeinderat, Presse, Öffentlichkeit).
Die Webseite der Blauen Blume http://dieblaueblume.org/ berichtet über Aktionen, Geschichte und Aktuelles.

Teamentwicklung

Zu Projektbeginn stand vor allem die Idee einer experimentellen und alternativen Lebenskultur im Vordergrund. Eine Gruppe von Freunden entwickelte auf einer kleinen Obstwiese bei einer befreundeten Bäuerin gemeinsam Veranstaltungen und baute an Bauwagen. Im Laufe der Zeit wurde auf unterschiedliche Weise die Teamzusammenarbeit “professionalisiert”. So gibt es wöchentliche Teamtreffen, die mit einer Agenda vorbereitet werden. Außerdem gibt es verschiedene Arbeitsgruppen.
Jedes Jahr wird ein „Hüttenwochenende“ veranstaltet, bei dem es um Wünsche und Konflikte im Team und in der Blume geht. Und natürlich darum, gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen und Spaß auch außerhalb der Blume zu haben.
Inzwischen ist die erste Generation zum Teil schon nicht mehr in Friedrichshafen. Es gibt Teammitglieder, die die Entwicklung des hier dargestellten Projektes nicht mitbekommen haben. D.h., dass teilweise gewachsene Strukturen nun schon so lange bestehen, dass „jüngere“ Blumenmenschen diese zwar nutzen können, aber auch gleichzeitig kritisch reflektieren.

Immobilien/Planen/Bauen

Der Verein hat einen Vereinsbus, der für das Kulturprogramm genutzt wird, sowie einige Lagerräume, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind. Es gibt eine offene Außenküche, eine mobile Bühne und seit der letzten Bauwoche eine Sitzbank über zwei Etagen.
Zum Wohnprojekt gehören zudem Bauwagen der Bewohner*innen, sowie der Küchenbus und ein mit dem Kulturprojekt geteilter Badwagen.
Weitere Bauprojekte werden in der jährlichen Bauwoche, mit Vorplanung, aber auch in situativer Entwicklung umgesetzt.
Im Baugenehmigungsverfahren erfolgen gerade die letzten Schritte: Nach einer eingereichten Tektur, weil Wagen nicht wie geplant stehen konnten und Neues entstanden ist, wird die Bauabnahme erwartet. Von Projektseite sind alle Bedingungen und Auflagen der Baugenehmigung erfüllt (Entfernen eines Wagens, Abwasser-und Zuwasseranschlüsse, Stromversorgung, Kennzeichnung von Notausgängen, statische Prüfung etc.).

Nachbarschaft und Stadtteil

Das Projekt ist von der Nachbarschaft Windhag in das Areal Fallenbrunnen gezogen (ca. 1,5 km entfernt) dies in Planung durch die Stadt. Derzeit sind die Nachbarn, vor allem Bildungseinrichtungen (Zeppelin Uni, Duale Hochschule, sowie eine Schule und Kindergarten) aber auch alteingesessene Kultureinrichtungen (Kulturhaus Caserne, in einem Verein organisiertes Kino). Zudem gibt es viele Spaziergänger, den Schießsportverein, der im Heizhaus trainiert, und die Unternehmen des alten Fallenbrunnens. Sie alle sind zu den Veranstaltungen und zum regelmäßigen Sonntagscafé eingeladen. Insbesondere die Studierenden der Zeppelin Universität nehmen den Platz und das Geschehen nun deutlicher wahr, denn bisher gibt es keine Hecke oder Sichtschutz zur Straße und Universität.

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

Die Blaue Blume kann Unterstützung gebrauchen von jemanden, der in der Stadt eine Stimme hat und auch von konservativen Teilen geschätzt wird und gleichzeitig Neugierde für das Innovative und Alternative mitbringt. Intern gibt es allerdings auch Debatten darüber, sich zu sehr anzupassen und so die eigenen Themen wie alternative und experimentelle Lebensformen zu verlieren.

Stolpersteine

Der Weg der Legalisierung und die Herausforderungen der Bürokratie brauchen einen langen Atem und viel Energie. Dabei geht es vor allem um rechtliche und finanzielle Fragen.
Schwierig war und ist die Gleichbehandlung aller Bauherr*innen im Bauordnungsrecht der Genehmigungsbehörden, vor allem weil das Thema “Bauen und Wohnen” in der schwäbischen Kleinstadt (Schaffe, Schaffe Häusle baue) mit Seelage und einigen großen Firmen ein ehr Brisantes ist. Denn die Normen und Rechtsgrundlagen der Landesbauordung und städt. Satzungen passen nicht zur Realität des Projektes (ein mobiler Wagenplatz). In Bezug auf finanzielle Kapazitäten aber auch in baulichen Kontexten hat das die Blaue Blume an Grenzen gebracht. Denn Busse und Bauwagen sind keine Gebäude der Energieeffizienzklasse 2 und die Wohnwagen sind faktisch keine Neubauten. Baurechtlich wird aber jeder Umzug als Abriss- und Neubau bewertet. So sind gerade die Besonderheiten, die eigentlich Alternatives testen und ermöglichen sollen, immer wieder ein Problem. Zum Beispiel war die seit Jahren erfolgreich genutzte Komposttoilette nicht zulässig und es musste ein Toilettenwagen mit Ver- und Entsorgungsleitungen gebaut werden. Lösungen und Einsichten müssen mühsam ausgehandelt werden.
Zusätzlich ist es bei so einem großen selbstorganisierten Vorhaben schwer die Erwartungen im Team in Bezug auf das Ergebnis zu klären: Wie stark muss man sich professionalisieren? Wie organisiert man einen so langfristigen Prozess, der nie komplett fertig ist, immer wieder Überraschungen mit sich bringt und eigentlich der Arbeit mehrerer Vollzeitstellen entspricht? Wie schafft man es also, ein ehrenamtliches Team, das hinter dem Projekt steht, vor Selbstausbeutung zu schützen?

Autorin: Franziska Ortgies / Blaue Blume

Sonstiges

Download: Konzept
Download: Genehmigungsverfahren
Webseite: Blauen Blume

Umzugsfilm