Fotos: Espen Eichhöfer, Ideenwerkstatt Dorfzukunft

Süntellädchen Flegessen

Ein Bio-Regionalmarkt der besonderen Art

Die Zukunftsfähigkeit von gleich 3 Dörfern ist durch das Süntellädchen im niedersächsischen Flegessen gesichert. In Zeiten von Dörfersterben, Abbau lokaler Ökonomie und Versorgungsstrukturen nahmen die Bewohner der drei benachbarten, idyllischen Dörfer Flegessen, Hasperde und Klein-Süntel ihre Zukunft selber in die Hand. Denn sie haben ihren Markt nicht nur selbst finanziert, geplant und in Eigenregie gebaut, sie betreiben den Mitglieder-Dorfladenladen auch eigenständig und auf ehrenamtlicher Basis.

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Projekt

Ein von den Bewohnern größtenteils selbst erbauter und selbst betriebener kleiner Bio- und Regionalladen mit ausgeklügeltem Rechtskonstrukt zur Grundversorgung von 3 Dörfern in der Nähe von Hannover.

Gebäudetyp/Nutzflächen

In Eigenarbeit errichteter Neubau in ökologischer Bauweise (Holz, Strohballen, Lehm) auf zuvor gekauftem Grundstück in der Dorfmitte nach Abriss eines ehemaligen Wohnhauses.

Grundstück: 900 qm
Dorfladen: 100 qm
Verkaufsfläche: ca. 80 qm

Projektstatus

Pionierphase: eröffnet im Juli 2015

Das Besondere – Erfolgsbausteine

Ein Baustein für den Erfolg waren die Erfahrungen des Vorgängervereins (Süntelkörner e. V.). Diese reduzierten die Einstiegshürden und –risiken für den neuen Dorfladen. Die Nachfrage vor Ort, erzielbare Preise und die Möglichkeiten, für die Organisation und Betrieb Ehrenamtliche einzubinden, waren bekannt.

Durch eine behutsame, rücksichtsvolle Positionierung des Ladens ohne Konkurrenzen zum bestehenden Einzelhandel und Handwerk war es überhaupt erst möglich, eine Vertrauensgrundlage für 270 Finanzierer aus der Bewohnerschaft zu legen. Das Angebot des Dorfladens ergänzt das Angebot bestehender Versorger (Bäcker, Metzger, Getränkehändler).

Im Prozess des Planens und Entwickelns der nötigen Grundlagen ist es durch eine ständige Öffentlichkeitsarbeit gelungen, die Menschen „bei der Stange zu halten“. Die konstruktive Mitmachkultur des Vereins „Ideenwerkstatt Dorfzukunft“ erzeugte eine große Solidarität für das Projekt.

Das Besondere ist das eigens für den Dorfladen entwickelte Konstrukt der Gesellschaftsformen aus Verein sowie UG plus GbR. Es musste eine Rechtsform gefunden werden, mit der man einerseits schnell agieren kann, andererseits aber flexibel ideelle wie auch pragmatische Mitglieder/Geldgeber einbinden konnte. Details unter Organisationsform.

Die Wertschätzung durch die Preise Neue Nachbarschaft der Montag Stiftung Urbane Räume und weitere jährliche Auszeichnungen waren als Argumentationshilfen für das Konzept gegenüber der Bewohnerschaft der drei Dörfer und anderen Unterstützern sehr dienlich.

Chronologie

Am Anfang


2010 gründet sich der Vorgängerverein „Süntelkörner e. V.“, der sich als Einkaufsgemeinschaft um die örtliche Versorgung mit biologisch erzeugten Produkten kümmert. Er sammelt Erfahrungen in einem ersten kleinen, reinen Mitglieder-Dorfladen für ein tragfähiges Sortiment und mit dem Einbinden ehrenamtlich Engagierter.

Die Ideenwerkstatt Dorfzukunft e.V. ist die weitere Basis für die Initialzündung und Entwicklung des Projektes. Drei Dörfer machen sich gemeinsam auf den Weg, weiter lebenswert zu bleiben. Nahversorgung wurde als in absehbarer Zukunft drängendes Thema identifiziert. Ein Dorfladen soll die drohende Lücke gar nicht erst aufkommen lassen. Auf der Ideenwerkstatt Dorfzukunft im September 2012 entsteht mit ca. 120 Teilnehmern die Idee, einen eigenen Dorfladen zu gründen. Eine Projektgruppe mit rund 70 Personen übernimmt die weitere Planung und Konzeptentwicklung.

Aufbau


Die Projektgruppe stellt in großer Runde im November 2013 ein Konzept für den Laden vor und legt damit den Grundstein für die Finanzierung und Realisierbarkeit.

Durch die besonderen Erfolgsbausteine (s. o.) wird der Dorfladen gemeinschaftlich über Crowdfunding finanziert. Zum Stichtag im Februar 2014 lag der notwendige Anteil an Eigenkapital in Höhe von 90.000 Euro vor, der von insgesamt 270 Menschen eingesammelt werden konnte (Rechtsform s. u.).

So konnte im März 2014 das Grundstück, für das bereits ein Versteigerungstermin angesetzt war, gekauft werden.


Verstetigung


Nach Besitzübernahme und Abriss des nicht sanierungsfähigen Wohnhauses ab Mai 2014 startete der Neubau, für den die Pläne schon seit 2013 in der Schublade lagen.

Im Juli 2015 fand die Eröffnung des Dorfladens mit einem großen Fest auf dem gesamten Grundstück statt.

Auf lange Sicht


Wenn der Kredit abgezahlt ist, möchte der Verein mit den Einnahmen weitere Projekte für das Gemeinwohl der Dorfgemeinschaften finanzieren.

Finanzierung

Das Projekt kommt ganz ohne öffentliche Förderung aus:

2.500 Euro Stammkapital von fünf Gesellschaftern der UG
90.000 Euro von 270 „Crowdfundern“, die in einer GbR gebündelt und als stille Teilhaber an der UG beteiligt sind.
Der laufende Betrieb finanziert sich selbst. Einzelheiten unter Organisationsform.

Organisationsform

Der kleine Dorfladen hat gleich drei Organisationsformen: eine UG, eine GbR und einen Verein.

Fünf Stammgesellschafter gründeten mit je 500 Euro eine UG (haftungsbeschränkt), um in der Anfangszeit schnelle Entscheidungen treffen zu können, ohne dabei Risiken mit ihrem Privatvermögen decken zu müssen. Die UG muss durch eigenes Wirtschaften ausreichend Stammkapital (25.000 Euro) aufbauen, um in eine GmbH überführt werden zu können. Der Gewinn der UG bemisst sich allerdings an der günstigen Ladenmiete. Das Stammkapital wird folglich nur sehr langsam (Zeitraum > 15 Jahre) aufgebaut werden können.

Die 270 Bau-Finanzierer (Dorfbewohner) organisieren sich in einer GbR, die wiederum stille Gesellschafterin der UG ist.

Die UG wird von einem Aufsichtsrat beaufsichtigt, in dem die GbR mit zwei Plätzen, die Stammgesellschafter mit einem Platz vertreten sind. Dadurch ergibt sich in der UG ein der Genossenschaft ähnliches Mitbestimmungsrecht der 270 Mitfinanzierer.

Ein wirtschaftlicher Verein (w. V.) mietet den Laden von der GbR und betreibt ihn ehrenamtlich. Vereinsmitglieder erhalten Preisnachlässe und stellen dafür eine Einlage (50 Euro einmalig) und ihre Mitgliedbeiträge (monatl. 10 Euro p. erw. Person in einem Haushalt), damit die Fixkosten des Vereins zu Monatsanfang gedeckt sind.

Vereinsmitglieder und Mitgesellschafter in der GbR sind nur teilweise identisch. Es gibt auch „ideelle“ Mitgesellschafter (die den Dorfladen ideell unterstützen), die nicht im Verein sind und „pragmatische“ Vereinsmitglieder (die gerne günstiger einkaufen wollen), die nicht Gesellschafter sind. Durch diese Offenheit können sich Menschen mit verschiedensten Interessen einbringen.

Dorfladen – Zusammenspiel von UG, GbR und Verein

Kommunikation

Ganz wesentlich für den Erfolg des Ladens war eine „leise“ Kommunikation. Die Engagierten haben sehr viel Wert darauf gelegt, möglichst viele Menschen in ihrem Dorf mitzunehmen und eine Gemeinschaft aufzubauen. Besonders gegenüber den bestehenden Versorgern war wichtig, nicht als Konkurrenten, sondern als weiterer Mitstreiter für eine gemeinsame Sache (stabile Nahversorgung) wahrgenommen zu werden.

In einer eigenen Zeitung „Süntelblatt“ hat die Gruppe monatlich über den Projekt- und Baufortschritt berichtet, um ihr Handeln möglichst transparent zu machen.

Ein eigens produzierter Film über Hoffnungen, Träume und Visionen rund um den künftigen Dorfladen wurde kostenlos per DVD an alle Haushalte verteilt.

Darüber hinaus hat sie klassisch „Klinken geputzt“.

Teamentwicklung

In der kurzen Zeit bildete sich aus ein paar interessierten Bürgern ein Projektteam und stellte eine gemeinschaftliche Finanzierung auf die Beine. Das geht nur, wenn sich wirklich alle (auch die beteiligten Profis) auf Augenhöhe begegnen und sich sehr klar über ihre Ziele sind. Die Ideenwerkstatt Dorfzukunft lieferte dafür eine wesentliche kulturelle und methodische Grundlage. Die Vorstellung des Konzepts in großer Runde überzeugte die (270) Menschen schließlich, sich auch finanziell zu beteiligen.

Immobilien/Planen/Bauen

Außergewöhnlich ist schon der Standort, weil die Gemeinschaft ganz bewusst das Grundstück in der Mitte des Dorfes gekauft und dort eine zu allen Seiten einladende Achteck-Form umgesetzt hat. Auf dem im Frühjahr 2014 erworbenen Grundstück ist zwischen Mai 2014 und Juli 2015 durch gemeinschaftliches „Anpacken“ ein neues Ladengebäude errichtet worden. Das Gebäude wird für eine marktübliche Miete an den o. g. Dorfladenverein vermietet. Die achteckige Form des Gebäudes orientiert sich an der verfügbaren Fläche auf dem Grundstück (nach Abzug der vom Bauamt geforderten Parkplätze), bietet von allen Straßenansichtsseiten eine einladende Front und spiegelt die gewünschte Funktion als „Dörfer-Kommunikations-Drehscheibe“ wider. Das Gebäude wurde im Wesentlichen aus Holz, Stroh, Lehm und Glas errichtet – und setzt damit auf zukunftsfähige, gesunde und günstige Baumaterialien aus der Region, für deren Verarbeitung nicht nur eine Reihe bewährter Profi-Handwerker vor Ort verfügbar sind, sondern die auch einen hohen Eigenleistungsanteil der Dörfergemeinschaft ermöglichten.

Grundstückskauf, Abriss und Neubau konnten ohne öffentliche Mittel nur mit privatem Kapital und über Darlehen finanziert werden. Finanzierungsmix:

  •  90.000 Euro Eigenkapital (270 Mitfinanzierer)
  • 110.000 Euro Darlehen
  •  50.000 Euro Muskelhypothek (viele ehrenamtliche Stunden)

Nachbarschaft und Stadtteil

Die Ideenwerkstatt Dorfzukunft ist ein Verein, der seit 2012 für das Miteinander, die Perspektiven und die Kultur, also für ein rundum zukunftsfähiges Leben auf dem Land arbeitet. Der Laden ist ein Projekt von vielen: Dorfkino, Zeitung „Süntelblatt“, Dorfhochschule u. v. m. Die weitere Entwicklung des Gemeinwohls im Einklang mit der Natur ist Ziel des Vereins. Für ihr Engagement hat die Ideenwerkstatt Dorfzukunft schon mehrere Preise gewonnen: Neue Nachbarschaft 2012 der Montag Stiftung Urbane Räume, Deutscher Bürgerpreis 2013, Land der Ideen Ausgezeichneter Ort 2014, Bundessieger Kerniges Dorf 2015.

Stolpersteine

Bei der Weiterentwicklung der Idee zu einem Konzept hätten die Menschen vor Ort aussteigen können, wenn beispielsweise zu starke Einzelpersönlichkeiten den Prozess an sich gerissen hätten.

Die Finanzierung hätte nicht gelingen können.

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

Um den Laden zu betreiben, leisten monatlich 80 Dorfbewohnerinnen und -bewohner insgesamt 300 bis 350 Stunden ehrenamtliche Arbeit. Nur durch dieses fantastische Engagement lassen sich die Preise niedrig halten. Vereinsmitglieder zahlen nur ca. 6 Prozent Aufschlag auf den EK-Preis, Nicht-Mitglieder ca. 45 Prozent. Zum Vergleich: Andere Bio-Läden brauchen 60 bis 80 Prozent Aufschlag, um wirtschaftlich agieren zu können. Diese ehrenamtliche Unterstützung muss also weiterhin funktionieren.

Sonstiges

Der Steuerberater war mit viel Leidenschaft und Spaß bei der Sache. Ohne ihn hätte die Suche nach einer geeigneten Organisationsform ungleich mehr Zeit in Anspruch genommen und hätte sicherlich ein nachteiligeres Ergebnis erzielt.

Links & Downloads

Autoren: Marcus Paul, Henning Austmann, Antje Eickhoff