Fotos: Najeha Abid, Susanne Küppers

Internationale Gärten Göttingen

Gemeinwohl entsteht in dieser Geschichte buchstäblich auf fruchtbarem Boden, und der liefert weit mehr Ertrag als im Sommer kiloweise Kartoffeln, Kürbis oder Kräuter: Ernte plus gelebte, selbst-initiierte Integration. Diese Immovielie braucht weder Haus noch Schlüssel und ist doch ein Ort, an dem Menschen unterschiedlichster Nationalitäten heimisch geworden sind. „Offenheit, das ist uns das Allerwichtigste“, sagt Tassew Shimeles, „in unserem Garten kommt man ins Gespräch, hier lernt man sich kennen, begegnet Menschen, die man sonst nie getroffen hätte.“ Der gebürtige Äthiopier und Agraringenieur muss es wissen. Er ist heute Vorsitzender und seit über 20 Jahren als Impulsgeber im Verein „Internationale Gärten Göttingen e.V.“ aktiv – und natürlich auch leidenschaftlicher Hobbygärtner.

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Projekt

Internationale Gärten e.V. Göttingen ist ein Interkultureller Verein zur Förderung von Eigeninitiative, beruflicher Integration und sozialer Entfaltung.

Inhalte

  • Begegnungsort in öffentlichem Grün und eine Methode zur Gestaltung öffentlicher Freiflächen zu Orten der Kommunikation und Integration
  • gute Nachbarschaften und zivilgesellschaftliches Engagement
  • auf Gartenkultur basierte wechselseitige Integrationsarbeit
  • gartenkulturbasierte Methode der Neuverwurzelung

Gebäudetyp

Gepachtete, öffentliche Grundstücke, keine Immobilie

  1. Internationaler Friedensgarten in Göttingen-Grone: öffentliche Brache
  2. Internationaler Garten Geismar, städtisches Schulerweiterungsgelände

Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung

  1. Internationaler Friedensgarten Grone: 5.000 qm
  2. Internationaler Garten Geismar: 4.500 qm

Projektstatus

Gemeinnütziger Verein, etabliertes Projekt

Erstes Gartenprojekt in Göttingen 1996

Internationale Gärten e.V. Göttingen (gesellschaftliche Strategien des „Neu Verwurzelns“)

Bundesnetzwerk Interkulturelle Gärten

(Europaweite Verbreitung)

Das Besondere – Erfolgsbausteine

I. Institutionelle Ebene

  • Initiierung eines Hausgartenprojektes und Öffnung für Familien aus verschiedenen Kulturkreisen (Geflüchtete, Migranten und Deutsche)
  • Engagement für die integrationspolitische Arbeit vor Ort – vom Gartenprojekt zum Projekt für gesellschaftliche Integration
  • Gründung des Vereins Internationale Gärten e.V. Göttingen
  • Öffnung der Internationalen Gärten für die Nachbarschaften und Stadtteil-Institutionen
  • Anerkennung der Integrationsarbeit durch zahlreiche Preise

II. Empowerment von Vereinsmitgliedern und Projektteilnehmern

  • Geflüchtete und Migranten sind gemeinsam mit den deutschen Mitgliedern Hauptakteure im Projekt. Sie gestalten:
    a) die Gärten, die Bildungsprojekte und die Vereinsprozesse vor Ort,
    b) die Öffentlichkeits- und Vernetzungsarbeit bundesweit.
  • Die freundliche Atmosphäre und Kommunikation, gefördert durch:
    a) interkulturelle Wertschätzung und Konfliktmediation,
    b) partizipative Strukturen im Verein.
  • Das Eigene, Selbstgestaltete – außerhalb zugewiesener Räume

III. Visionen gemeinsam entwickeln und umsetzen

  • Interkulturelle soziale Gartengemeinschaften gestalten mit Visionen von Gleichberechtigung und Emanzipation.

Chronologie

Am Anfang


1995: Die Idee eines Gartenbauprojekts für Bosnische Flüchtlingsfamilien entsteht im Migrationszentrum für Flüchtlinge in Göttingen.

1996: Die erste Gartengruppe wird gegründet von Familien aus Deutschland, Äthiopien, Bosnien, Afghanistan, Irak, Iran. Es ist der erste Internationale Garten in Göttingen-Geismar und damit der erste Interkulturelle Garten in Deutschland.

1997: Gründung eines lokalen und regionalen Netzwerkes aus vier Internationalen Gärten

Aufbau


1998: Gründung des Vereins „Internationale Gärten Göttingen e.V.“ mit 24 Gründungsmitgliedern, Verbreitung der Projekt-Idee

2000: 18 Internationale/Interkulturelle Gärten bundesweit sind im Aufbau.

2002: Treffen mehrerer Internationaler/Interkultureller Gärten in Berlin Köpenick; Gründung „Bundesnetzwerk Interkulturelle Gärten“ mit Sitz in München durch die Stiftung anstiftung & ertomis, München

Verstetigung


2003: Gründung der „Stiftung Interkultur“ durch anstiftung & ertomis,München, mit den Internationalen Gärten Göttingen als Ideengeber

2011: Jubiläumsfeier 15 Jahre Internationale Gärten Göttingen. 120 Interkulturelle Gärten sind inzwischen bundesweit aufgebaut.

2017: 20 Jahre Verein Internationale Gärten Göttingen. Es gibt nun mehr als 460 Interkulturelle Gärten bundesweit im Netzwerk Interkulturelle Gärten.

Auf lange Sicht


Die Internationalen und Interkulturellen Gärten haben zunehmende Bedeutung für die Urbane Stadtplanung von öffentlichen Grünflächen – Urbane Gärten.

Finanzierung

  • Mitgliedsbeiträge (20-30 Euro/Jahr)
  • kommunale Zuschüsse (etwa 1.200 Euro/Jahr )
  • Einnahmen aus Wettbewerben (insgesamt 15.000 Euro)
  • projektbezogene Förderungen (Stiftungen)
  • Spenden
  • kleine Einnahmen durch Verkauf gärtnerischer Erzeugnisse (Honig, Marmeladen, Kräuterprodukte etc.)
  • Grundstück für Garten in Geismar wird von der evangelischen Kirche und der Stadt Göttingen kostenlos zur Verfügung gestellt.
  • Grundstück für Garten in Grone ist in städtischem Besitz, jährliche Pacht 550 Euro.

Organisationsform

Gemeinnütziger eingetragener Verein

Vorteile: Anerkennung als Vertragspartner, höhere Selbstbestimmung, die Freiheit, eigene Leitbilder zu entwickeln
Nachteile: der finanzielle und zeitliche Aufwand, die Verwaltungsstruktur und bürokratischen Abläufe aufrechtzuerhalten

Kommunikation

  • keine öffentliche Bewerbung, keine gezielte Pressearbeit oder Imagekampagnen
  • Inserate in der lokalen Presse bei besonderen Anlässen wie Feste, Workshops, Veranstaltungen etc.
  • Vereinsflyer, E-Mail-Adressenliste, Homepage, Infotafeln in den Gärten
  • ehrenamtliche Pflege der Homepage durch ein Mitglied

Teamentwicklung

  • Es gibt zwei Gartengruppen, die sich regelmäßig in den jeweiligen Gärten treffen. Die Treffen sind offen für alle Mitglieder. Die Gartengruppen erörtern und entscheiden garteninterne Angelegenheiten und kommunizieren diese an das Vereinsbüro bzw. den Vorstand.
  • zusätzliche Treffen bei neuen Projekten und Veranstaltungen
  • Einmal monatliche Vorstandssitzungen, öffentlich für alle Mitglieder; die Sitzungstermine werden allen Mitgliedern rechtzeitig mitgeteilt.
  • Der Vorstand ruft je nach Bedarf größere Sitzungen ein.

Immobilien/Planen/Bauen

In den Gärten dürfen wegen Brachen-Regelungen keine festen Gebäude gebaut werden.
Eine Infrastruktur, z. B. Schutzhütten, Sitzgelegenheiten, Brotofen, Schuppen für die Gartengeräte, Wasser oder Imkerhäuser, haben Vereinsmitglieder im Eigenbau als temporäre und mobile Infrastruktur aufgebaut.

Nachbarschaft und Stadtteil

Ausstrahlung der Gärten: Die Gärten werden von der Nachbarschaft, Stadtteilgruppen, Schulen, Kindergärten, Senioren, Umweltgruppen und Besuchern genutzt. Es gibt verschiedene gärtnerische und handwerkliche Nutzungsmöglichkeiten.

  • Parzellen: Mitglieder-Parzellen, Kindergartenparzellen, Schulparzellen, Experimentierparzellen von studentischer Umweltgruppen, Transition-Town-Gruppe
  • Kurse im Bereich Gartenbau, Gerätereparatur, Wildkräuter, Handwerk & Kunst; Veranstaltungen, Nachbarschaftsfeste, private Feiern

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

  1. Verbesserung der Gestaltung der Homepage, eventuell auch in mehreren Sprachen
  2. Wie kann man das Zusammenwachsen gestalten? Es gibt viele wertvolle Informationen, die wir gerne weiter vermitteln würden, z. B. Infos darüber, wie eine bunte interkulturelle Gruppe entsteht, sich entwickelt, altert und auch auflöst.
  3. Mehr Förderung von kunsthandwerklichen Arbeiten in den Gärten.

Stolpersteine

  • zu hohe Arbeitsbelastung für die seit vielen Jahren schon ehrenamtlich aktiven Mitglieder
  • Schwierigkeit, Fachleute für ehrenamtliches Engagement zu finden
  • Interessenfokussierung eines Teils der Mitgliedschaft nur auf die gärtnerische Arbeit
  • wenig Offenheit von etablierten Institutionen das Projekt zu unterstützen

Sonstiges

Soziale Innovation, kommunales/Stadtteil-bezogenes Engagement, Zuwanderungsalltag mitgestalten

Der Garten bei anstiftung & ertomis