Fotos: Axel Öland

Bellevue di Monaco München

Aufbruch statt Abriss in der Münchener Innenstadt: Die gemeinnützige Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco hat es geschafft. In drei Häusern der Müllerstraße 2-6 entstehen Infocafé, Kulturräume, Wohnungen der Jugendhilfe und Wohnungen für Familien und Alleinerziehende mit Fluchthintergrund. Ein besserer, humanerer Umgang mit geflüchteten Menschen nützt auf lange Sicht uns allen. Die Münchner selbst brauchen einen Ort, an dem sie all die drängenden Fragen, die mit den Themen Flucht, Migration, Einwanderung, Identität zusammenhängen, verhandeln können. Das Bellevue will daher ein offenes, diskussionsfreudiges Haus sein. Für die Geflüchteten. Aber auch für die Münchnerinnen und Münchner.

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Projekt

In der Münchener Innenstadt rettete die gemeinnützige Sozialgenossenschaft Bellevue di Monaco drei städtische Häuser vor dem Abriss und entwickelt diese als Wohnraum für Geflüchtete, Infocafé und Kulturräume für das ganze Quartier.

Gebäudetyp/Nutzflächen

Müllerstraße 2-6: ehemalige Wohnhäuser zum Teil von Beginn des 19. Jahrhunderts
Eigentümer: Stadt München
In direkter Nachbarschaft befindliche leerstehende Hochbunker in der Blumenstraße 22 ggf. als Erweiterungsmöglichkeit

Müllerstraße 6: acht Wohnungen für bis zu 16 junge Erwachsene in 2er-WGs im Anschluss an die Jugendhilfe. Info-Café für Begegnung, Information und Beratung
Müllerstraße 4: sechs Wohnungen für Familien und Alleinerziehende mit Fluchthintergrund
Müllerstraße 2: auf zwei Etagen Kulturraum für Veranstaltungen, Büros
Das gesamte Gelände ist ca. 8.000 Quadratmeter groß: Fläche für Wohnen, Gemeinschaft und Nachbarschaft, Kultur, Kommerz, Kunst

Projektstatus

Gründungs- und Aufbauphase, Pionierphase

Das Besondere – Erfolgsbausteine

Hauptziel des Projektes ist die Unterstützung von geflüchteten Menschen, die momentan noch durch das soziale Netz der Zuständigkeiten fallen: z.B. junge Erwachsene von 18-25 Jahren.
Ein Info-Café für gemeinsame Begegnung, Information und Beratung soll der Schlüssel nach Außen und Anlaufstelle von außen sein.
Das ganze Projekt steht unter dem Motto „Empowerment“: mit Künstlern sollen zum Beispiel eigene kulturelle Programme entwickelt werden. Hauptinitiator Till Hofmann ist vernetzt in die Münchner Politik,Verwaltung, Prominenz und mobilisiert von Anfang an namhafte Persönlichkeiten Münchens als Unterstützer für das Projekt. Die Kommunikation nach außen und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist maßgeblich für das Gelingen verantwortlich. Über eine Solidargenossenschaft wurde das notwendige Eigenkapital zusammengetragen und die Menschen wurden langfristig an das Projekt gebunden.

Chronologie

Am Anfang


März 2013 Gorilla-Aktion

Januar 2015 Stadtrat nimmt Abriss-Planungen zurück

Verstetigung


März 2015 Genossenschaft gegründet

Dezember 2015 Abgabe Bewerbungsunterlagen an Kommunalreferat für das Erbbaurecht

Januar 2016 Entscheidung des Münchner Stadtrates, das Erbbaurecht an Bellevue di Monaco zu vergeben

Auf lange Sicht


Frühjahr 2017 Bezug der Wohnungen

Finanzierung

Durch die Zeichnung von Anteilen in der Sozialgenossenschaft von möglichst vielen Solidar-Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftlern wird die Finanzierung des Projekts gesichert. Wer Mitglied werden möchte, zeichnet einen Geschäftsanteil über 500 Euro. Möglich ist auch die Zeichnung mehrerer Geschäftsanteile. Die Auszahlung der Geschäftsanteile erfolgt fünf Jahre nach deren Kündigung.
Die Geschäftsanteile bilden das Eigenkapital der Genossenschaft und werden in die Sanierung und Ausstattung der Räumlichkeiten investiert. Mitglied werden können private Personen ebenso wie Verbände, andere Unternehmen und Firmen. Zusätzlich zur Einlage wird ein einmaliges Beitrittsgeld erhoben, das zur Deckung der laufenden Kosten verwendet wird. Dieses beträgt für natürliche Personen 50 Euro, für gemeinnützige Verbände und Organisationen 250 Euro und für andere Personengesellschaften und juristische Personen 1.000 Euro. Die anderen Einnahmen der Sozialgenossenschaft aus Eintrittsgeldern, Spenden und Zuschüssen kommen der Jugendhilfe, Beratung sowie Kunstprojekten und dem Kulturprogramm unter dem Dach des Willkommenszentrums in der Müllerstraße zugute. Das Bellevue di Monaco kann auch durch Spenden und ehrenamtliche Mitarbeit unterstützt werden. Für Spenden bis 200 Euro reicht der Einzahlungsbeleg bzw. der Kontoauszug für die Steuererklärung. Ab 200 Euro wird eine Zuwendungsbestätigung ausgestellt. Im laufenden Betrieb werden Mieteinnahmen für die Bewohner über das Jugendamt eingenommen werden. Der an die Stadt zu entrichtende jährliche Pachtzins, der für den 40-jährigen Erbbaurechtsvertrag gezahlt werden muss, wird durch diese Mieteinnahmen refinanziert.

Organisationsform

Das Aktionsbündnis Bellevue di Monaco hat eine Sozialgenossenschaft gegründet. Der Unterschied zu vielen anderen Rechtsformen ist, dass die Mitglieder einer Genossenschaft gleichzeitig Entscheidungsträger, Geschäftspartner und Kapitalgeber sind. Diese gegenseitige Förderung der Mitglieder (sog. Förderprinzip) macht eine Genossenschaft aus.
Das gemeinsam Erwirtschaftete kommt unmittelbar den Mitgliedern bzw. dem Zweck der Genossenschaft zugute und nicht etwaigen Investoren oder Dachorganisationen. Die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitglieder und auch finanziellen Mittel werden so genutzt, dass im Idealfall jedem Mitglied daraus ein finanzieller wie auch ideeller Vorteil erwächst. Eine Genossenschaft ist äußerst demokratisch: Jedes Mitglied hat – unabhängig von den eingebrachten Kapitalanteilen – das gleiche Stimmrecht. Jeder kann teilhaben, jeder kann ganz einfach wieder austreten. Sie ist nicht wie etwa die GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) an ihre Mitglieder gebunden. Allerdings muss die Mindestmitgliederzahl von drei Personen durchgehend vorhanden sein.
Obwohl die Genossenschaft kein Mindestkapital vorsieht, ist dennoch die Haftung auf das Genossenschaftsvermögen beschränkt. Somit ist trotz Risikobegrenzung eine anfängliche Kapitalaufbringung – abgesehen von den anfallenden Gründungskosten – nicht notwendig. Das Besondere an der solidarischen Sozialgenossenschaft ist, dass die Sozialgenossen nicht direkt profitieren, sondern Leistungen zugunsten sozial benachteiligter Personen erbringen.

Kommunikation

Von Beginn an kommunizieren die Macher ihre Ideen nach außen. Dies gelingt vor allem, weil Personen des öffentlichen Lebens die Initiative unterstützen und Filmemacher etc. mit an Bord sind. Durch das satirische „Goldgrund“-Immobilien-Projekt wird die Immobilienspekulation ironisch und humorvoll kritisiert. Die Verantwortlichen mussten – um Humor zu beweisen – zumindest wohlwollend auf den Protest reagieren. 

Teamentwicklung

Der Vorstand ist ehrenamtlich tätig:

  • Matthias Weinzierl (Bayerischer Flüchtlingsrat)
  • Angela Bauer (Heilpädagogisch-psychotherapeutische Kinder- und Jugendhilfe e.V.)
  • Till Hofmann (Lustspielhaus, Lach & Schießgesellschaft)

Im Vorstand muss mindestens ein Vertreter/eine Vertreterin eines in München anerkannten Trägers der Kinder- und Jugendhilfe, der ansässigen Kulturträger Münchens sowie einer Flüchtlingsorganisation sein.

Auch der Aufsichtsrat arbeitet ehrenamtlich:

  • Christian Grisi Ganzer (Filmemacher)
  • Dr. Konstantin Wegner (Medienanwalt)
  • Monika Steinhauser (Münchner Flüchtlingsrat)
  • Alex Rühle (Süddeutsche Zeitung)
  • Gile Haindl-Steiner (Buntstiften)
  • Gisela Seidler (Asylanwältin)
  • Johannes Seiser (Verein für Sozialarbeit)
  • Matthias Lilienthal (Münchner Kammerspiele)

Hauptamtlich tätig sind:

  • Buchhalterin (5 Std./Woche)
  • Projektkoordinatorin (30 Std./Woche)
  • Controllerin (geplant: 3 Tage/Woche)

Das Miteinander zwischen Haupt- und Ehrenamt läuft reibungslos, v.a. da alle ehrenamtlich Tätigen hauptamtlich Berufen nachgehen.
Vielfältige und namhafte Kooperationspartner werden genutzt, um die eigenen Ziele in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und damit durchsetzen zu können. In den kommenden Monaten soll das „Gesicht des Projektes“ – Till Hofmann – etwas zurückgenommen werden, damit das Projekt von vielen Engagierten getragen wird und diese auch gesehen werden.

Immobilien/Planen/Bauen

Die Renovierung und der Umbau sollen möglichst günstig und mit möglichst viel Eigenleistung geschehen.
Müllerstraße 6: acht Wohnungen für bis zu 16 junge Erwachsene von 18-25 Jahren in 2er-WGs
Müllerstraße 4: sechs Wohnungen für Familien und Alleinerziehende
Müllerstraße 2: Kulturraum für Veranstaltungen, Büros etc. auf 2 Etagen

Der in direkter Nachbarschaft befindliche leerstehende Hochbunker in der Blumenstraße 22 neben der Schrannenhalle könnte zukünftig eine zusätzliche Erweiterungsmöglichkeit darstellen.
Die Stadt München stellt 1,7 Millionen Euro für die Renovierung der Gebäude zur Verfügung. Diese Summe wurde in der Kostenschätzung des Architekturbüros im Nutzungskonzept von Bellevue di Monaco ermittelt.

Nachbarschaft und Stadtteil

Zu den benachbarten Glockenbachwerkstätten bestehen enge Verbindungen. Hier findet das Büro von Bellevue di Monaco zwischenzeitlich Unterkunft, bis die eigenen Räume bezogen werden können. Weitere bestehende Kooperationspartner sind:
Bayrischer Flüchtlingsrat und „die Grünen“, schwul-lesbische Szene mit ihren Einrichtungen.

In Kooperation mit den Innungen, der Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer sowie Bildungsträgern soll ein Ort für Bildung und Weiterbildung entstehen, sowie eine Vermittlungsstelle für Ausbildungs- und Praktikumsplätze.

Das Begegnungszentrum mit einem Info-Café soll offener Treffpunkt für Austausch, Diskussion und Verständigung werden. Die Stadtgesellschaft soll dadurch in ihrer Mitte auch ein Forum für Debatten erhalten, einen Ort, an dem sie sich mit Zukunftsthemen wie Flucht, Migration und Einwanderung auseinandersetzt.
Durch den Betrieb eines Kompetenzzentrums für individuelle unabhängige Rechtsberatung, für asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragestellungen, für die Vermittlung medizinscher/psychologischer Hilfe sowie für eine Verknüpfung zu den Sportvereinen und sonstigen Vereinen wird eine enge Bindung in den Stadtteil hergestellt.

Stolpersteine

Ständige Konfrontation mit Zweifeln und Kritik. Forderung: mehr Vertrauen in Bürgerinitiativen von Stadt- und Machtseite.

Geplant ist es auch, weiterhin Genossen über München hinaus zu gewinnen. Der Wunsch ist, bundesweiter Leuchtturm für andere Projekte zu werden.

Links & Downloads

Autorin: Kristin Gehm