Fotos: HAL Leipzig

HAL Atelierhaus Leipzig

Nachbarschaftsarbeit und internationale Kunstszene – geht das? Das geht. Das „HAL (hybrid art lab) Atelierhaus“ versucht seit 2013 in zwei Gründerzeithäusern im Leipziger Osten genau das zusammenzubringen. Mit einer Vielzahl von Aktionen in den Häusern und im Stadtviertel hat sich die Crew um den „Helden wider Willen e.V.“ aufgemacht, um an einem Begegnungszentrum zu bauen für Leute, die sich normalerweise nicht begegnen würden.

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Projekt

HAL (hybrid art lab) Atelierhaus

Helden wider Willen e.V.

nachbarschaftlich orientiertes, international ausgerichtetes Begegnungszentrum

Gebäudetyp

Zwei gründerzeitliche Wohnhäuser im Leipziger Osten
Denkmal, Baujahr circa 1895

In einem Block mit fünf weiteren von Künstlern und Kulturschaffenden genutzten Häusern

Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung

520 qm Grundstück

ingesamt 1.260 qm Nutzfläche in zwei gründerzeitlichen Wohngebäuden, davon:

  • Privatwohnungen: 910 qm
  • Projektwohnungen (Residenz): 130 qm
  • Gemeinschaft/öffentlich/Gewerbe: 220 qm

Projektstatus

Gründungs- und Aufbauphase

Das Besondere – Erfolgsbausteine

Die Projektmacher des gemischten Kunst-Labors (hybrid art lab) kommen aus der Kunst- und Kulturszene. Sie sehen sie sich als Teil des Stadtviertels, in dem sie agieren.

Wichtig ist den Aktiven die Abgrenzung gegen einen elitären Kunsthype. Ziel ist ein Dialog zwischen internationalen Künstlern und Menschen im Stadtteil. Wichtig in der Überwindung der Anfangsschwierigkeiten war es, die eigene Überforderung durch die vielfältigen – vor allem baulichen Aufgaben – künstlerisch zu reflektieren.

Der Verein stellt gesellschaftliche Fragen in den Mittelpunkt. Daher beschränkt das Projekt seine Arbeit nicht auf das Haus (etwa als Wohnprojekt) oder auch nur auf die Nachbarschaft. Gerade durch die Verknüpfung von transnationalem Austausch und Nachbarschaftsarbeit gelingt immer wieder der Blick über den Tellerrand: Aktuell in der beginnenden Stadt-Land-Kooperation mit dem Umweltverband „Grüne Liga Kohrener Land e.V.“ im Leipziger Umland und den Überlegungen, hier einen Bauernmarkt zu schaffen.

Das Erbbaurecht ermöglichte einen niedrigschwelligen Einstieg mit Verstetigungsoption (Kauf), die überraschend schnell in Anspruch genommen wurde.

Chronologie

Am Anfang

2006: Gründung des „Helden wider Willen e.V.“ im Leipziger Westen, Schaffung eines offenen Raums für Nachbarschaft und Kunst, Zusammenarbeit mit Stadtverwaltung und Quartiersmanagement
Mitarbeit im von Zivilgesellschaft und Unternehmen getragenen Stammtisch „Niedrigschwellige Instandsetzung von Gründerzeithäusern“

Aufbau

2011–2013: Verhandlungen mit der kommunalen Wohnungsgesellschaft LWB. Ziel der insgesamt 5 Akteure waren Erbbaurechte für insgesamt sieben Häuser für niedrigschwelliges Wohnen und Förderung von Kunst und Kultur in einem Block im Leipziger Osten

Oktober 2013: Abschluss Erbbaurechtsvertrag durch „Helden wider Willen e.V.“ für zwei Häuser

Sommer 2014: Erste Mieter ziehen ein, die Arbeit beginnt, unterstützt von einer ersten Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes im Fonds Neue Länder.
Parallel beginnt der durch die GLS-Bank finanzierte Beginn der Sanierung und Erwerb der Hildegardstraße 51.

Beginn 2015: Das Projekt „Honorary Hotel & HAL Atelierhaus – Ein Netzwerk unterstützt Städte“ wird als Pilotprojekt im Rahmen des „Nationalen Strategieplans für eine integrierte Stadtentwicklungspolitik“ gefördert.

Verstetigung

September/Oktober 2015: Das 1. Internationale help* Festival findet statt.

Mitte 2016: Das Kulturamt Leipzig, die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und das Kulturmanagerprogramm Tandem Europe unterstützen den Aufbau eines regelmäßigen kulturellen Veranstaltungsprogramms im HAL Atelierhaus.

Auf lange Sicht

2017 ist der Kauf des zweiten Gebäudes Hildegardstraße 49 geplant.

Angestrebt ist ein finanziell unabhängiges, nachbarschaftlich orientiertes und international ausgerichtetes Begegnungszentrum. Kernbausteine sollen das „Honorary Hotel“ und die „HAL (hybrid art lab) Residency“ sein: Das „Honorary Hotel“ soll Gäste mit mehr und solche mit weniger Geld zusammenbringen. In der Residenz können Menschen aus aller Welt für einige Monate leben und arbeiten und darüber mit den Menschen im Quartier in Kontakt treten. Angestrebt ist es, mit Partnern Arbeits- und Aufenthaltsstipendien zu vergeben.

Finanzierung

Finanzierung des Baus durch:

  • 197.500 Euro Bankkredit für Kauf und niedrigschwellige Instandsetzung
  • Refinanzierung durch Mieten der Bewohner, Nutzer und die Projekte

Finanzierung der Projektarbeit durch verschiedene Förderprogramme:

  • 2014: Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes im Fonds „Neue Länder – Förderung bürgerschaftlichen Engagements“ in Höhe von 30.000 Euro
  • 2015-2017: Pilotprojekt der „Nationalen Stadtentwicklungspolitik“des Bundesbauministeriums (Titel: „Honorary Hotel und HAL Residency – Ein Netzwerk unterstützt Städte“)
    Fördersumme gesamt: 100.000 Euro
  • Weitere projektbezogene Fördermittel u. a. für Jugendaustausch, einen Spielplatzbau, Stadtteilplattform Leipziger Ecken, Workshops und andere Aktionen

Fördermittelgeber waren das Kulturamt der Stadt Leipzig, Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und die Programme „Künste öffnen Welten“, „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Ziel der Arbeit ist es immer, dass die Arbeit für Aktivitäten des Vereins mittelfristig bezahlt wird.

Wertvoll, aber nur schwer bezifferbar ist die praktische Unterstützung durch Fachleute, etwa durch die Leipziger KulturPaten gUG, im Besonderen durch die ehrenamtliche Mitarbeit des Architekten Olaf Schilling.

Der Verein plant für Anfang 2017 erstmalig ein Crowdfunding, um den Ausbau des Erdgeschossbereichs beider Häuser als Begegnungszentrum der Künste zu finanzieren. Unterstützung erhalten sie dabei durch ein Stipendium des Social Impact Lab Leipzig.

Organisationsform

Der gemeinnützige Verein „Helden wider Willen e.V.“ ist sowohl Besitzer/Erbbaurechtsnehmer der Häuser als auch Träger der Projekte in den Häusern. Da die Häuser nicht getrennt von ihrem Inhalt gedacht werden, liegt es nahe, auch eine Rechtsform für alles zu wählen. Andere Vereine wie der IBiZ (Initiative Bildung in Zukunft) e.V., der urban-gardening-Verein „Stadtpflanzer e.V.“ und Initiativen wie „Hildes Enkel“ und „Wilde Hilde“ sind Mieter im Projekt.

Die Nutzer haben Mietverträge. Die Mietverträge der Nicht-Vereinsmitglieder sind auf 5 bzw. 7 Jahre befristet, um dann die nächste Ausbauphase des Projekts anzugehen.

Mit den anderen im ehemaligen Verhandlungsteam und jetzigen Besitzern der insgesamt 7 gepachteten Häuser im Wohnblock gibt es nur sporadisch Berührungspunkte. Eine gemeinsame Organisationsform war nicht angestrebt, um die Unabhängigkeit der Akteure zu wahren. Es wird aktuell überlegt, einen monatlichen Stammtisch zum Austausch einzurichten.

Kommunikation

Der „Helden wider Willen e.V.“ betreibt eine vielfältige professionelle Öffentlichkeitsarbeit, die stark auf soziale Internetmedien setzt. Alle Aktionen des Vereins sind auch auf Facebook dokumentiert.

Daneben setzen die Aktiven des Vereins vor allem auf direkte Kommunikation durch gemeinsames Tun: Sei es mit der internationalen Kunst- und Kulturszene durch das „help* Artist-in-Residence-Programm“, mit der Nachbarschaft durch gemeinsame Essen auf der Straße oder durch die zahlreichen Veranstaltungen in und um die Häuser.

Teamentwicklung

Im Mittelpunkt des Ganzen steht ein Kernteam von drei Menschen, zwei davon wohnen hier. Nur eine Person ist auch formal im Verein aktiv und stellt einen von zwei Vereinsvorständen.

Das Kernteam sucht immer noch nach einer geeigneten Organisationsform, in der es gemeinsam auch unabhängig vom Verein unternehmerische Leistungen anbieten kann. Auch wenn eine Kultur des „Lass uns einfach experimentieren“ vorherrscht, gibt es formal eine klare Trennung zwischen Mietern (mit befristeten Mietverträgen) und den Vereinsmitgliedern. Eine Erweiterung des Vereins wird seitens des Vorstands derzeit nicht aktiv angestrebt. Mitglieder des Vereins sind die Gründungsmitglieder aus dem Leipziger Süden und Westen.

Alltagsentscheidungen werden im Kernteam oder in spontan einberufenen Versammlungen einberufen. Eine regelmäßige Vollversammlung gibt es nicht, dafür aber vielfältige Begegnungspunkte im Alltag. Innerhalb der einzelnen Projekte und Räume in den Häusern entscheiden die, die sie bespielen.

Die Struktur changiert zwischen spielerischer informeller „do-ocracy“ (= „Wer macht, entscheidet“) und klarer Hierarchie. Das gewährt einerseits eine zeitnahe unternehmerische Handlungsfähigkeit („Soll dieser oder jener Antrag gestellt werden?“), wird aber sicher das Projekt mittel- und langfristig noch vor Herausforderungen stellen („Wer zieht aus und wer bleibt dabei und wie?“).

Immobilien/Planen/Bauen

Die beiden Häuser wurden im Oktober 2013 in einem sanierungsbedürftigen Zustand im Erbbaurecht übernommen.

2014 konnte mit einem Bankkredit im ersten Haus die Kaufoption genutzt werden und eine Sanierung angegangen werden. Auch das zweite Haus soll zeitnah gekauft werden, da die Bodenrichtwerte stark steigen.

Ein großer Teil der Arbeit geschieht in Eigenleistung bzw. mit Unterstützung durch symphatisierende Fachleute. Die Räume wurden durch den Verein instand gesetzt und werden seitdem von ihren Nutzern und Bewohnern unter fachlicher Anleitung selbst ausgebaut.

Nachbarschaft und Stadtteil

Die Aktiven des Vereins haben sich auf ganz verschiedenen Ebenen um Kontakt in die Nachbarschaft bemüht: So haben sie gleich von Anfang an Gespräche mit verschiedenen Vereinen und Institutionen im Stadtviertel gesucht mit der Frage „Was braucht ihr?“.

Dazu kommt der unmittelbare Kontakt, etwa über das gemeinsame Gespräch beim Essen auf dem Bürgersteig. In der Nachbarschaft befindet sich auch eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylsuchende, zu der Kontakte geknüpft wurden. Während gemeinsamer Bastelstunden mit den Kindern entstanden Großpuppen aus Pappmaché, die in einer kleinen Parade schließlich feierlich durch die Nachbarschaft getragen wurden.

Zahlreiche Veranstaltungsformate versuchen, die Themen der Aktiven im Verein mit denen der Nachbarschaft zu verbinden. Eine „Nachbarschafts-Sommerschule“ im Sommer 2016 bemühte sich, das Wissen aus der Nachbarschaft dieser direkt zugänglich zu machen; etwa in Malkursen, Hochbeetbau und Gitarrespielen.

Auch ins Leipziger Umland reicht die Kooperationssuche: Der Umweltverband „Grüne Liga Kohrener Land e.V.“ versucht, hier neues Leben in ein altes Pfarrhaus zu bringen. Die angestrebte Stadt-Land-Kooperation zeigt sich zur Zeit in gemeinsamer Apfelernte und Planungstreffen für einen Bauernmarkt in Leipzig.

Die gefühlte Nachbarschaft des HAL Atelierhauses reicht noch weiter: Der Verein ist etwa durch das Artist-in-Residence-Programm international mit Kunst- und Kulturschaffenden gut vernetzt, die ihre künstlerischen Ansätze direkt mit den Themen des Stadtteils in Verbindung bringen. Dieser Austausch bringt viel wechselseitige Inspiration: So wurde schon die Eröffnungsperformance des „Honorary Hotels“ von einem deutsch-dänischen Künstlerpaar gestaltet – jetzt arbeiten die Aktiven des HAL Atelierhauses im Rahmen eines weiteren Projekts mit ihnen zusammen, um sie beim Aufbau eines ähnlichen Lebens- und Arbeitsprojekts im Norden, im ländlichen Raum Dänemarks zu unterstützen

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

Der Verein sucht noch weitere Fördermitglieder. Dazu nehmen sie auch aktuell am Wettbewerb CALL FOR MEMBERS der Kulturstiftung des Bundes teil.

Die Aktiven des Vereins drehten die Frage um, und fragten Akteure in der Stadtverwaltung: „Wie können wir euch unterstützen?“ Auf die so gestellte Frage nach Kooperationsmöglichkeiten gibt es selten Antworten – so ungewöhnlich ist sie.

Was sich die Aktiven im Projekt wünschen, ist mehr Aufmerksamkeit für die kleinen selbst organisierten Projekte und Initiativen, die mit den Menschen auf Augenhöhe reden und gezielt Angebote im nachbarschaftlichen Alltag entwickeln.

Da (sozio)kulturelle Projektmacher mit dieser Bandbreite an Betätigungsfeldern überfordert sein können, braucht es wohlwollend hinschauende und ehrenamtliche beratende Fachkräfte aus NGOs, Wirtschaft und Verwaltung.

Stolpersteine

In der Verhandlungsphase war es schwierig, eine Bereitschaft für den Erbbaurechtsvertrag zu bekommen. Zum damaligen Zeitpunkt wollte die Wohnungsgesellschaft ihre Bestände nur meistbietend verkaufen. Immer wieder wurden die Vereinsmitglieder nicht ernst genommen.

Die Bedingungen der Erbbaurechtsverträge sind teilweise ungünstig: Dadurch, dass bei einem möglichen „Heimfall“ des Hauses an die Wohnungsgesellschaft keine Entschädigung gezahlt werden sollte, war es schwierig, eine Bank zu finden, die den Ausbau finanzierte. Nur, weil es über eine Projektfinanzierung sowieso schon Kontakte zu einer Bank gab, konnte diese Hürde genommen werden.

Besonders herausfordernd war es, gleich zu Beginn auf allen Ebenen auf einmal zu starten: Mit der Sanierung und der inhaltlichen Arbeit. Meist gibt es in der kulturellen Förderung nur Projektgelder und diese eben nur für die kulturelle und künstlerische Arbeit. Akteure mit neuen Projekten haben es auch immer etwas schwerer, auf Anhieb die passenden Unterstützer und Netzwerke zu finden.

Links und Downloads

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