Fotos: Stefan Bayer, Jubaedah Gräfe, Sylvia Lösche, Sebastian Maaß, Quassim Mohamad, Marcel Rotzinger, Eberhard Weible

Samtweberei Krefeld – Urbane Nachbarschaft

Eine Immobilie für das Gemeinwesen

Immobilien erwirtschaften finanzielle und ideelle Renditen für die Nachbarschaft. Das ist die Kernidee des Programms Initialkapital der Montag Stiftung Urbane Räume, die zum ersten Mal in der Krefelder Südweststadt realisiert wird: Die Stiftungsgruppe Montag hat von der Stadt Krefeld eine alte Samtweberei im Erbbaurecht erworben, die sie so um- und ausbaut, dass sie ein mehrfach wertvoller Teil der Stadtteilentwicklung wird. Und sie investiert parallel in den Aufbau nachhaltiger Strukturen für das Gemeinwesen.

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Projekt

Die Alte Samtweberei erzeugt sozialen und finanziellen Nutzen für die sie umgebende, bunte Nachbarschaft in der Krefelder Südweststadt, in der ca. 6.800 Menschen leben: dem Samtweberviertel. Sie erwirtschaftet Mittel für die Gemeinwesenarbeit, ihre Mieterinnen und Mieter bringen sich in Stadtteilprojekte ein. Das Samtweberviertel soll ein bunter, demokratischer und offener Ort des Ankommens und des friedlichen Miteinanders bleiben und werden.

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Grafik: Utku/Haas und Mevißen/Jagla

Gebäudetyp/Nutzflächen

  • Ursprünglich Gewerbebauten einer Samtweberei aus den 1880er Jahren
  • Erweiterungs- und Ergänzungsbauten aus den 1950er und 60er Jahren
  • überdachte Shedhalle im Hof

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Grafik: Utku/Haas und Mevißen/Jagler

SHEDHALLE: Freiraum für die Gemeinschaft

  • Ehemalige Fabrikhallen im Blockinneren
  • Nutzfläche: ca. 3.500 qm
  • Neue Nutzungen: Gemeinschaftlicher Freiraum für die Samtweberei und das Viertel; Stellplätze und Nebenanlagen für Anlieger der Samtweberei
  • Fertigstellung: 2017

DENKMAL: Gemeinschaftliches Wohnen

  • Historischer Kern des Ensembles (Ende des 19. Jahrhunderts), denkmalgeschützt
  • Nutzfläche: ca. 2.900 qm
  • Neue Nutzungen: 37 Mietwohnungen (tlw. öffentlich gefördert), im Erdgeschoss teilweise Gewerbe
  • Fertigstellung: 2017

TORHAUS: Begegnen und Arbeiten

  • Ehemaliger Gewerbebau mit Zugang zum Innenhof (1950er Jahre)
  • Nutzfläche: ca. 750 qm
  • Neue Nutzungen: Nachbarschafts- und Kulturcafé (ca. 130 qm + ca. 50 qm Nebenräume im Denkmal); Büros (ca. 620 qm).
  • Fertigstellung: 2015 (Büros) bzw. 2017 (Café)

PIONIERHAUS: Neues Arbeiten

  • Ehemaliges Verwaltungsgebäude (1960er Jahre)
  • Nutzfläche: ca. 1.000 qm
  • Neue Nutzungen: Büros, Ateliers und Werkstätten
  • Inbetriebnahme: 2014 (Auftakt des Gesamtvorhabens)

DIE ECKE: Begegnung

  • Leerstehendes Ladenlokal, das als Stadtteiltreffpunkt genutzt wird
  • Kooperationsprojekt mit der Bürgerinitiative Rund um St. Josef e. V.
  • Nutzfläche ca. 80 qm
  • Inbetriebnahme: 2015

Projektstatus

Gemeinwesen: viele Maßnahmen und Projekte realisiert, weitere im Aufbau, gleichzeitig beginnende Verstetigung
Gebäude: realisiert (2014-2017)

Das Besondere – Erfolgsbausteine

  1. Der Ausgangspunkt: Ein bunter Stadtteil, der Unterstützung gebrauchen kann, eine Immobilie, die entwickelt werden will und eine Stadt, die hoch motiviert bei der Sache ist.
  2. Das Initialkapital der Carl Richard Montag Förderstiftung, das den frühen Start und die potenzielle Rendite ermöglicht hat und die Mittel aus der Wohnraum- und Städtebauförderung, die die öffentlichen und gemeinschaftlichen Nutzungen überhaupt ermöglichen.
  3. Das Erbbaurecht von der Stadt Krefeld, mit dem die Rolle der Alten Samtweberei als gemeinnütziges Projekte für den Stadtteil auch langfristig gesichert werden kann. Der Erbbauzins wird erlassen, solange die Urbane Nachbarschaft Samtweberei gemeinnützig arbeitet.
  4. Der Viertelsfonds, der Selbstverwaltung und Selbstwirksamkeit ermöglicht.
  5. Die Viertelstunden – die vertragliche (Büros) oder freiwillige (Wohnen) Verpflichtung, sich als Nutzer der Samtweberei für den Stadtteil zu engagieren.
  6. Die Menschen im Stadtteil, die sich in Projekten, auf den Festen und in den Gremien engagieren.
  7. Die vorhandenen zivilgesellschaftlichen und öffentlichen sozialen Institutionen, die aktiv mitwirken.
  8. Eine offensive, an den Adressaten orientierte Kommunikation.

Chronologie

Am Anfang

2012: Die Montag Stiftung Urbane Räume sucht einen guten Standort für das Initialkapital

Aufbau

2013: Montag Stiftung Urbane Räume und Stadt Krefeld entwickeln ein Handlungskonzept und formulieren Absichtserklärungen, die die Ziele festlegen und die Basis für die weiteren Schritte sind.
2013: „Vorstellungsgespräch“ im Stadtteil. Die Montag Stiftung Urbane Räume fragt, ob sie willkommen ist und beginnt mit dem Stadtteil zu arbeiten.
2014 (Frühjahr): Erbbaurechtsvertrag, Gründung der Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH
2014 (Sommer): Erster Projektaufruf. 26 Projekte für das Viertel werden ausgezeichnet.

Verstetigung

2014 (Herbst): Eröffnung des „Pionierhauses“ mit einem großen Fest. Die ersten Interessenten für das „Wohnen im Denkmal“ werden eingeladen und beginnen einen Moderationsprozes
2015: Das erste Kirschblütenfest des Bürgervereins Bahnbezirk, wieder ein erfolgreicher Projektaufruf, das Torhaus wird umgebaut, der Viertelsrat gründet sich, der erste Große Viertelsratschlag findet statt. Die „Vereinbarung zur Weiterleitung von Fördermitteln“ wurde im Oktober 2015 von der Stadt Krefeld und der UNS unterzeichnet.

Auf lange Sicht

in 2017

  • der Umbau ist abgeschlossen, 150 Menschen „bevölkern“ die Samtweberei als Bewohner oder Büromitarbeiter,
  • die Shedhalle wird partizipativ als „Neuer Platz fürs Viertel“ entwickelt und mit Leben gefüllt,
  • die Ecke ist etabliert und in der Samtweberei gibt es ein Nachbarschafts- und Kulturcafé,
  • es bleibt von den Mieteinnahmen ein jährlicher Überschuss. Dieser wird für soziale und nachbarschaftliche Projekte langfristig im Quartier eingesetzt.

Finanzierung

Immobilieninvestition

  • Eigenkapital der Carl Richard Montag Förderstiftung: 1 Mio. zzgl. 0,7 Mio. Euro als Nachrangdarlehen
  • Städtebauförderung für den Umbau der Shedhalle: ca. 1 Mio. Euro
  • Wohnraumförderung für den Umbau des Denkmals und die quartiersnahe Infrastruktur als Darlehen: 2,2 Mio. Euro
  • Bankfinanzierung (GLS-Bank): 2,9 Mio. Euro

Investitionen in den Stadtteil

  • Anschubfinanzierung der Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit seitens der Montag Stiftung Urbane Räume von 2014 bis 2018: bis zu 200.000 Euro pro Jahr
  • Förderprogramm „NRW hält zusammen“ (über 1,5 Jahre): 137.100 Euro inkl. Eigenanteil, gemeinsam mit Bürgerinitiative Rund um St. Josef

 

Grafik: Utku/Haas und Mevißen/Jagla
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Organisationform

Die Urbane Nachbarschaft Samtweberei ist eine gemeinnützige Gesellschaft, deren Gesellschafter die Carl Richard Montag Förderstiftung ist.

Kommunikation

Jegliche Kommunikation in den Stadtteil hinein wird aus der Empfängerperspektive gestaltet. Was könnte die Menschen im Stadtteil interessieren? Welche Sprache ist angemessen?

Studierende der Hochschule Niederrhein haben für die Samtweberei ein eigenes Logo entwickelt, das für Identifikation wirbt.

Einladungen werden, soweit es geht, direkt ausgesprochen, Flyer dienen vor allem als Unterstützung und persönliche Handgabe.

Es wurde ein Viertelschreiber eingerichtet, der für eine kleine monatliche Aufwandsentschädigung regelmäßig von Aktivitäten im Viertel berichtet.

Das Projekt wird in allen Krefelder und in vielen bundesweiten Medien wahrgenommen. Zentrale Artikel unter www.samtweberviertel.de.

Teamentwicklung

Es gibt sechs „Teams“. Das Team der Profis (Team UNS), die die Samtweberei umbauen, betreiben und weiter entwickeln und die neuen Strukturen in der Gemeinwesenarbeit aufgebaut haben. Das Team der Nachbarn, die sich in Projekten (Gärtnern, Basteln, Treffen) oder in Gremien (Viertelsrat, großer Viertelsratschlag) engagieren. Das „Team“ der Bewohnerinnen und Bewohner des Denkmals. Und schließlich die Nutzer der Bürogebäude.

Die Teamentwicklung befindet sich in unterschiedlichen Stadien. Während das „Team UNS“ eine multidisziplinär besetzte Gruppe mit Zuständigkeiten in Immobilienentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit, Gemeinwesenarbeit, Technische Dienste, Bauleitung, Büroorganisation etc. ist,

bildet das „Team Nachbarn“ wiederum kleine Gruppen, die sich freiwillig zusammen finden und Spaß miteinander haben. Ein erster Versuch, einige Gruppen thematisch zusammenzuführen, war nicht von Erfolg gekrönt. Jetzt gilt die Regel: Zusammenarbeit im Ehrenamt nur, wenn es auch zwischen den Menschen stimmt.

Das „Team Viertelsrat“ sind Freiwillige aus dem Stadtteil, die Lust darauf haben, den Viertelsfonds (5.000 Euro) und Schritt für Schritt auch das gesamte Budget der Gemeinwesenarbeit (60.000 Euro) mit zu gestalten. Der Viertelsrat ist der zentrale Ratgeber der UNS für alle Fragen die Gemeinwesenarbeit betreffend und soll Schritt für Schritt mehr Entscheidungskompetenz und Selbständigkeit bekommen.

Das „Team Wohnen im Denkmal“ hat sich über längere Zeit unter professioneller Moderation zusammen gefunden, hat kleine Arbeitsgruppen gebildet und hatte individuell und als Gruppe inhaltlich großen, aber im Budget klar beschränkten Einfluss auf die Gestaltung der Grundrisse. Mittlerweile finden sich die neuen Bewohnerinnen und Bewohner regelmäßig zusammen, um Formen zu entwickeln, wie das gemeinschaftliche Wohnen und die Beiträge für den Stadtteil (Viertelstunden) gestaltet werden sollen.

Das „Team Pionierhaus“ sind die Nutzerinnen und Nutzer des ersten Bauabschnittes, die auf Basis der sehr günstigen Kaltmieten verpflichtet sind, eine Stunde pro gemieteten Quadratmeter pro Jahr für stadtteilrelevante Arbeiten zu investieren (Flyer, Webseiten, Übersetzungen, Workshops, Anpacken etc.). Dies wird von einer der Nutzerinnen transparent dokumentiert. Der Viertelsrat begleitet diesen Prozess und steuert nach, falls Leistungen nicht passend sind. Die Zusammenarbeit der Nutzerinnen und Nutzer des Pionierhauses untereinander findet statt, kann/soll aber in Zukunft ggf. noch ausgebaut werden.

Und nicht zuletzt das „Team Projektsteuerung und Bau“, das vom Geschäftsführer bis zur Büroleitung über die beteiligten Architekten bis hin zum Bauleiter und den beteiligten Baufirmen sowie dem Hausmeister immer wieder vor Ort entschieden hat, was die besten, effektivsten und nachhaltigsten Lösungen für die jeweilige – und meist knifflige – Bauaufgabe ist.

Abgerundet wird das Ganze natürlich vom „Team Finanzierung“. Denn die Mittel kommen aus vielen Quellen, wollen kalkuliert, beantragt und vor allem auch abgerechnet werden.

Immobilien/Planen/Bauen

Neben den normalen, sehr kniffligen Themen des Bauens im Bestand ist hier besonders:

  • Der erste Bauabschnitt (Pionierhaus) konnte nach sieben Jahren Nutzungspause wieder in Betrieb genommen werden und so für relativ wenig Geld den Nutzerinnen und Nutzern zum Selbstausbau zur Verfügung gestellt werden.
  • Die Idee, die Shedhalle stehen zu lassen, war nicht von Anfang an da. Eigentlich sollte sie abgerissen werden. Bis in vielen Gesprächen die Idee aufkam, sie als „Platz mit Dach“ auszubauen. Sie wird – mit Mitteln der Städtebauförderung – so umgebaut, dass sie öffentlich nutzbar ist.
  • In allen Bauprozessen spielt Beteiligung und Mitwirkung (inkl. kleiner Selbstausbauten) eine große Rolle.

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Grafik: Utku/Haas und Mevißen/Jagla

Nachbarschaft und Stadtteil

Die Nachbarschaft ist besonders heterogen und hat innerhalb Krefelds bei manchen den Ruf, bunt und bei manchen den Ruf schwierig und arm zu sein. In jedem Fall ist der Stadtteil ein wichtiger Ankommensort in der Stadt Krefeld. Es gibt aktive und sehr verschiedene Bürger- und Kulturvereine. Außerdem zahlreiche lebendige Institutionen, Vereine und Weiterbildungsträger. Die Nachbarschaft Samtweberei fügt sich hier als Motor (für noch mehr Kooperation und Miteinander), als Plattform (für stadtteilbezogenes Engagement) und als Partner (insbesondere durch die Mieterinnen und Mieter) ein. (weitere Infos siehe Teamentwicklung).

Es gibt ein paar wichtige Spielregeln, die den Dialog mit dem Stadtteil begleiten

  • Keine Regel aufstellen, ohne dass es einen konkreten Regelungsbedarf gibt
  • So wenig wie möglich Vorgaben für die Stadtteilprojekte machen
  • Nicht nur Meinungen, sondern Rat einholen
  • Die Sprache der Empfänger sprechen
  • Nichts machen, was andere schon anbieten
  • Nicht alles können

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Grafik: Mevißen/Jagla

Stolpersteine

Die öffentliche Förderung und die Finanzierung des Umbaus sind sehr komplex und hätten in dieser Form von einer unerfahrenen Initiative wahrscheinlich nicht konzipiert werden können.

Die öffentliche Förderung erwartet fertige, umsetzungsreife Konzepte. Das ist bei teilhabeorientiertem Bauen im Bestand schwer möglich. Ohne den – auch finanziellen – Rückhalt der Stiftung wären die Prozesse langsamer und weniger partizipativ verlaufen.

Der anfängliche Plan, dass die Wohngruppe das Denkmal in Selbstverwaltung übernimmt, ging so nicht auf. Begründung: „Die UNS ist doch ein guter Vermieter, warum sollen wir Zeit mit Nebenkostenabrechnungen vergeuden, wenn wir uns doch besser für den Stadtteil engagieren können“.

Ob der Stadtteil sich über seine neu gewonnene Beliebtheit auch mit ungeliebten Aufwertungsprozessen konfrontiert sehen wird, ist noch nicht abzusehen.

Sonstiges

Ohne die gute Vernetzung mit den Ideengebern für das Projekt (insbesondere „Initiative ergreifen Projekte“ und Stiftung trias) und in die Landesministerien hinein und ohne den großen Rückhalt aus der lokalen Politik und Verwaltung wäre das Vorhaben sicher noch nicht so weit und vielleicht auch gar nicht realisierbar (gewesen).

Links & Downloads

Autorin: Frauke Burgdorff  – Autor Aktualisierung 2017: Robert Ambrée