Fotos: Jens Götz

STRAZE Greifswald

Es ist ein Ort mit besonderer und geschichtsträchtiger Atmosphäre: Wo die Straße Richtung Stralsund aus der Greifswalder Innenstadt herausführt, auf der Brücke über den Ryck, spürt man plötzlich ganz deutlich die Nähe zum Meer. Die schmucke Hansestadt wird schon im Mittelalter nach dem Greif, dem Wappentier der pommerschen Herzöge, benannt und Mitte des 19. Jahrhunderts wird das Fabelwesen auch Namensgeber für ein neues Konzert- und Gesellschaftshaus an der Stralsunder Straße 10/11. „Zum Greif“ hat es geheißen. Theater wurde in seinem prächtigen spätklassizistischen Emporensaal gespielt, auch die Stadthalle war hier mal beheimatet. Heute – 170 Jahre später – steht das historische, denkmalgeschützte Gebäude schon lange leer und ist schwer baufällig. Sogar der Abriss stand lange zur Diskussion. Nun aber kommt es anders: Seit Sommer 2016 werkeln die Handwerker. Ein gemeinwohlorientiertes Haus für die Nachbarschaft – mit Wohnungen, Werkstätten, Büros, Gastronomie und Räumen für Kunst und Kultur – entsteht. Ganz norddeutsch frech umgetauft allerdings: Die „Straze“ ist von den Projektmachern des Vereins „Kultur und Initiativenhaus Greifswald e.V.“ auf den Weg gebracht.

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Projekt

„Straze“, Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V., Stralsunder Straße 10 GmbH

Gebäudetyp

Konzert- und Gesellschaftshaus „Zum Greif“

Baujahr 1847

Früher genutzt als Theater und Stadthalle sowie Hotel mit denkmalgeschütztem spätklassizistischem Emporensaal,

Gesamtfläche oder Nutzflächen nach Nutzung

Gesamtfläche innen: 3.400 qm
Gesamtfläche außen: 8.430 qm

Drei Flurstücke gehören zur „Straze“. Nur das vorderste ist bebaut. Das mittlere Flurstück wird nicht bebaut. Die Freiflächen werden die Projekte im Haus sowie die Besucher und Bewohner gemeinsam nutzen. Es können dort auch neue Projekte entstehen. Das hintere Flurstück ist an ein Bauunternehmen verpachtet.

Geplante Nutzung des Hauses:

  • Saal/Bühne/Lager/Technik: 560 qm
  • Gastronomie: 230 qm
  • Räume für Initiativen/Büros: 725 qm
    (Seminarbereich: 146 qm, Offene Werkstätten: 80 qm, Bibliothek: 32 qm)
  • Wohnbereich: 1.000 qm (auf 3 Etagen)
  • (880 qm sind nicht vermietbar)

Projektstatus

Pionierphase: Sanierungs- und Umbauarbeiten haben im Sommer 2016 begonnen, geplante Fertigstellung 2019

Das Besondere – Erfolgsbausteine

  • Die Projektinitiative hinter der „Straze“ hat einen langen Vorlauf: Einige der Projektmacher initiieren bereits seit 25 Jahren gemeinsame Projekte z.B. im Bereich Umweltschutz, Bauprojekte, Jugendarbeit; das stärkt Vertrauen und realistische Erwartungen
  • Konzept für Wohnen und Arbeiten im „öffentlichen Raum“: Die Verzahnung der Nutzungen ist bewusst gewählt, um Synergien zu nutzen; nicht nur um die Mietbelastung durch geteilte Nutzung zu verringern, sondern um die Ressourcen der Aktiven effektiv einzusetzen, da z.B. Anfahrtswege wegfallen, eine Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Arbeit möglich wird usw.
  • gemeinsam Bauen: Der Sanierungsprozess beinhaltet einen großen Anteil Eigenleistung. Dieser setzt sich zusammen aus „Soli“(-darischen, also unbezahlten) Einsätzen einerseits von vielen Unterstützern bei ungelernten Arbeiten und durch Handwerker-Kollektive wie den reisenden Gesellen. Außerdem gibt es in der Initiative selbst viele Bau- und Handwerkserfahrene, die mit anpacken.
  • Erhaltung eines Baudenkmals: Die Restaurierung des Saals und ein Konzept analog zur ursprünglichen Nutzung (Hotel- & Konzert/Theaterbetrieb) hat eine breite Allianz in der Stadt Greifswald geschaffen. Beispiel dafür ist das langjährige Engagement der Architektin, die ihrerseits Teil einer Altstadtinitiative zur Erhaltung von Baudenkmäler in Greifswald ist. Lange stand auch der Abriß des Hauses zur Diskussion.

Chronologie

Am Anfang

  • Die Initiative unterbreitet der Eigentümerin des Denkmals, der Universität Greifswald, im November 2007 ein Kaufangebot für die Stralsunder Str. 10/11. Die Universität verkauft aber an das Petruswerk, ein katholisches Sozialwerk, das sich auf Wohnungsbau spezialisiert hat und 2004 Teil der AVILA Holding wird. Die Kaufbedingungen, sowie die Pläne zur Entwicklung der Stralsunder Str. 10/11 werden nicht bekanntgegeben.
  • Im Mai 2008 finden sich über 20 Bürgerinnen und Bürger zur Gründung der Bürgerinitiative zur Rettung des traditionsreichen Hauses an der Stralsunder Str. 10/11 zusammen, nachdem der neue Eigentümer mitteilt, dass eine Sanierung nicht finanzierbar ist. Es werden über 1200 Unterschriften gegen den drohenden Abriß gesammelt und eine Ausstellung über die Geschichte des Hauses erstellt.
  • Im September 2008 Gründung des Vereins „Kultur- und Initiativenhaus Greifswald“.
  • Im November 2008 erstellt der Verein ein erstes Konzept zur Sanierung des Hauses an der Stralsunder Str. 10/11 und macht dem Petruswerk ein Kaufangebot.

Aufbau

  • Am 09.2009organisiert der Verein eine öffentliche Darstellung ihres Finanzierungsmodelles für ein Kultur- und Bürgerzentrum. Es gibt inzwischen Zusagen der GLS Bank und der Stiftung Nord-Süd-Brücken, das Projekt zu unterstützten. Bezogen auf die Stralsunder Str. 10/11 stehen bereits 1,5 Mio. Euro für einen ersten Sanierungsabschnitt zur Verfügung.
  • Die Bürgerschaft, als kommunale Volksvertretung der Hansestadt, beauftragt die Stadtverwaltung am  Mai 2010 mit dem Verein, Verhandlungen auch über alternative Standorte zu führen. Es kommt aber nie zu konkreten Angeboten. In der Zwischenzeit verfällt das Haus an der Stralsunder Str. 10/11 weiter.
  • Das Denkmalamt Greifswald verweigert im April 2012 den vom Petruswerk beantragten Abriss des Hauses, weil das Konzept des Vereins zur Sanierung und Bewirtschaftung vorliegt.
  • Im Nov 2012 willigen Stadt und Eigentümerin ein, das Haus und die Grundstücke der Stralsunder Str. 10/11 an den Verein zum Preis von 350.000 Euro zu verkaufen.
  • Im Dez 2013 wird der Kaufvertrag abgeschlossen. Das Petruswerk verkauft direkt an die zu diesem Zweck vom Verein gegründete GmbH

Verstetigung

  • 2014/2015 finden Notsicherung, Aufräummaßnahmen, Planung und Öffentlichkeitsarbeit durch den Verein statt.
  • Ende 2015 wird der Bauantrag gestellt
  • Im Juni 2016 findet die formale Aufnahme ins Mietshäuser Syndikat statt. Die Zusammenarbeit mit dem Syndikat war eine der Grundvoraussetzungen für das Projekt.
  • August 2016 Bauabschnitt: Ertüchtigung von Fundament, Hülle & Dach. Offizieller Baubeginn mit einer „Soli“-Baustelle von freireisenden Gesellen. Sie reisen, nach alter Tradition nach Abschluss ihrer Ausbildung einige Jahre umher und nehmen Aufträge an. Für gemeinwohl-orientierte Projekte entscheiden sich Gesellen auch nur für Kost und Logis zu arbeiten.

Auf lange Sicht

  • Geplante Fertigstellung/Einzug in Abschnitten zw. 2019

Finanzierung

Kaufpreis ca. 400.000 Euro, geplante Sanierungskosten ca. 5 Mio. Euro

Darlehen in Höhe von ca. 3 Mio. Euro durch: GLS Bank (1.7 Mio.), Stiftung Nord/Süd Brücken, KfW, private Nachrangdarlehen

Als Eigenmittel gelten die umfangreichen Eigenleistungen im Bereich Planen und Bauen sowie Spenden und Leih –und Schenkgemeinschaften. Gelder aus Leih-und Schenkgemeinschaften sind aus Sicht des Projekts Spenden. Aus Sicht der Schenker sind es bedingungslose Kleinkredite, welche die GLS-Bank gewährt und an das Projekt ausschüttet. Zudem setzt die Straze Fördermittel ein, z.B. im Rahmen des Modellprogramms „Gemeinschaftlich Wohnen, Selbstbestimmt Leben“ des Bundesministeriums Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Organisationsform

Formale/rechtliche Organisation:

  • Eigentümerin: Stralsunder Straße 10 GmbH,

Diese vergibt nach dem Modell des Mietshäuser Syndikats Mietverträge an die Bewohner und Projekte. Entscheidungen trifft ein Plenum bzw. Arbeitsgruppen.

  • Hauptgesellschafterin: Stralsunder Straße 10 Mieten e.V.

Dieser im Syndikatsmodell „Hausverein“ genannte, nicht gemeinnützige Verein dient zur Organisation der Wohnmieter. Über ihre Stimme im Verein kontrollieren die Mieter „ihre“ GmbH. Sie haben damit die Rechte und Pflichten von Mietern und Eigentümern zugleich. In allen Angelegenheiten, außer Vorhaben die das Grundbuch betreffen z.B. Verkauf, Erbrechte, neue Kredite, entscheidet der „Hausverein“ eigenständig. Ansonsten muss der

Minderheitsgesellschafter Mietshäuser Syndikat GmbH zustimmen.

  • Bei der „Straze“ gibt es neben GmbH und Hausverein noch den ursprünglichen Verein „Kultur- und Initiativenhaus Greifswald e.V.“.

Auf Grund seiner Gemeinnützigkeit kann dieser Verein Spenden und Fördermittel annehmen. Damit das funktioniert wird der Verein als Generalmieter der geförderten Projektflächen in die Struktur eingebunden. Einzelne Vereine erhalten dann Untermietverträge.

Informelle Organisation:

Beschlussfassend ist das zweiwöchentlich stattfindende Hausplenum, in dem sich alle Aktiven einbringen können. Entscheidungen werden im Konsens gefällt. Bei Bedarf gründen sich Arbeitsgruppen zur Strukturierung von Prozessteilen z.B. Baugruppe, Koordinationsteam. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollen Entscheidungen und Handlungen möglichst auf der Ebene erfolgen, die am unmittelbarsten betroffen ist. Die Aktiven in der „Straze“ glauben, dass Freiraum zum Handeln und gelebtes Vertrauen nicht nur die Motivation, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein stärkt.

Kommunikation

  • Webseite/Facebook-Seite (regelmäßiger Blog & aktuelle Terminübersicht)
  • bestehende Kanäle über angeschlossene und befreundete Projekte, Initiativen und Einzelpersonen

Teamentwicklung

  • Die „Straze“ hat den Vorteil der festen ‚Gründungsgruppe‘, die seit vielen Jahren gemeinsam arbeiten und/oder leben. Es gibt bereits eine Art Wohnprojekt einiger Aktiven direkt gegenüber der Stralsunder Str. 10/11.
  • Im Prozess des jahrelangen Ringens um eine Immobilie gab es psychologisch viel auf und ab.
  • Der Planungsprozess 2014/2015 mit regelmäßigen Planungswochenenden und gemeinsamen Exkursionen zu anderen Projekten schwört die Gruppe auf das Sanierungsvorhaben ein.
  • Es wurden parallel weitere Initiativen/Vereine als Kooperationspartner/Mieter geworben, auch Einzelpersonen können sich einbringen (siehe offene Baustelle)

Immobilien/Planen/Bauen

  • Die Sanierung aller Gebäudeteile ist notwendig, dabei kommt es z.T. zu erheblichem Ausbau (Dach) und Umbau (Bühne). Vor allem die Sanierung des denkmalgeschützten Saals muss dabei besonders hohe Standards einhalten.
  • 1. Bauabschnitt: Ertüchtigung von Fundament, Hülle & Dach 2016/2017

Nachbarschaft und Stadtteil

  • Geplant sind Räumlichkeiten für lokale Vereine, die durch gemeinsame Nutzung von Seminar- und Veranstaltungsräumen, sowie Büroinfrastruktur, ihre Arbeit intensivieren können und von Synergieeffekten profitieren.
  • Der Saal bietet für Greifswald einzigartige Kapazitäten und soll in erster Linie für not-for-profit und Kulturveranstaltungen zur Verfügung stehen.
  • Eine Gastronomie bietet eine niedrigschwelligen Anlaufpunkt für Aktivitäten auf dem Gelände
  • Garten/Freiflächen Konzept steht noch aus, öffentliche Nutzungen sind angedacht

Auswahl öffentlicher Aktionen auf dem Gelände bisher:

  • Tag des Offenen Denkmals(2014/2015/2016)
  • Straze-Jam im Oktober 2014, Bands und Flohmarkt im Garten
  • Fete de la Musique2014/2015 spielten Bands im Straze-Garten
  • Festival Stadtimplus im Sommer 2015
  • Fest der Sommerbaustelle 2016
  • Initiativen Mittwoch – beteiligte Initiativen bieten abwechselnd Programm auf dem Gelände an (Stand 2016)
  • Baufreitag/Subotnik – Option tage- oder stundenweise auf der Baustelle mit zu helfen z.B. bei Aufräumarbeiten

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

  • Vor allem mit Hinblick auf die Finanzierung von gemeinnützigen Flächen, z.B. Bibliothek, Werkstätten, Bühnenräume/Saal, werden weiterhin Fördermittel und Spenden gesucht
  • Da noch viele „Baustellen“ offen sind (z.B. Dachgeschossausbau, Nutzung des mittleren Flurstücks) ist das Projekt weiterhin auf konstruktive Zusammenarbeit mit Verwaltung angewiesen

Stolpersteine

  • Die Stadtverwaltung musste durch jahrelanges beharrliches Engagement überzeugt werden, dass die Initiative sich auch wirklich dauerhaft in Greifswald engagieren würde. Gerade in Universitätsstädten hat jede neue Generation Ideen für lokale Projekte, die nach Abschluss des Studiums der Initiatoren häufig aber nicht weitergeführt werden.
  • In der langen und unsicheren Planungsphase fehlt Förderung
  • Bei der Sanierung von älteren Gebäuden werden zusätzliche Mängel häufig erst bei Baubeginn entdeckt; dies führt womöglich zu erhöhten Investitionskosten

Sonstiges

  • „Soli“-Baustelle der freireisenden Gesellen: Arbeitseinsatz von Gesellen und Gesellinnen zw. 4-8 Wochen im Sommer gegen Kost/Logis (Materialien/Werkzeug muss gestellt werden. Projekte sollten flexibel sein und ausreichend Freiraum für die Gesellen anbieten können, um den Einsatz attraktiv zu machen.)
  • Link Leih- und Schenkgemeinschaft: https://www.gls.de/privatkunden/ueber-die-gls-bank/arbeitsweisen/leih-und-schenkgemeinschaft/

links & Downloads

Webseite Projekt

Film NDR von 2014

Film Mietshäusersyndikat 2016