Grafik: Nutzungsaufteilung am Haus der Statistik, von Vasylysa Shchogoleva (www.vasi.work)

Public Civic Partnership – Neue Formen der Ko-Produzierten Stadt am Haus der Statistik

Ein Beitrag von Konrad Braun und Leona Lynen.
 
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
 
Neue Formen der Ko-Produzierten Stadt
Das Haus der Statistik, in unmittelbarer Nähe zum Berliner Alexanderplatz gelegen, bietet die Möglichkeit, die Forderungen nach einer gemeinwohlorientierten und kooperativen Entwicklung unserer Städte modellhaft umzusetzen. Über zehn Jahre stand der 50.000 m2 große Gebäudekomplex mitten in Berlin leer. Infolge öffentlichkeitswirksamer Aktionen der Initiative Haus der Statistik, einer Gruppe engagierter Künstler*innen, Architekt*innen, Kulturschaffender und Politiker*innen, wurden 2015 die bisherigen Pläne für den Verkauf an Investoren und der geplante Abriss verhindert.
 
Die Forderung aus der Zivilgesellschaft, das Haus der Statistik als Gemeingut zu sichern, wurde schließlich von Verwaltung und Politik aufgenommen. Das stete Engagement und Aufzeigen von Möglichkeiten durch unentgeltlich durchgeführte Machbarkeitsstudien seitens der Initiative traf auf Raumbedarfe seitens der wachsenden Berliner Verwaltung. Statt beide Nutzungskonzepte – Raum für Kunst, Kultur, Soziales und bezahlbares Wohnen versus Verwaltungsnutzungen – gegeneinander auszuspielen, entschied sich die neue Regierung 2017 dazu, das Areal von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu erwerben und in eine gemeinsame Projektentwicklung mit dem zivilgesellschaftlichen Partner zu überführen. Die Kerngruppe der Initiative hatte sich inzwischen als Genossenschaft organisiert und konnte dadurch als Akteur rechts- und handlungsfähig werden.
 
Neue Formen der Kooperation
 
Durch den Erwerb durch das Land Berlin wurde der Weg frei für eine gemeinwohlorientierte Entwicklung des Quartiers. Damit wurde der Grundstein für die Zusammenarbeit von fünf Kooperationspartner*innen gelegt, die seither in gemeinsamer Verantwortung für das gesamte Areal tätig sind: Die sogenannte „Koop5“ besteht aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, dem Bezirksamt Berlin-Mitte, den landeseigenen Gesellschaften WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH und BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH, sowie der ZUsammenKUNFT Berlin eG (ZKB) als legitime Vertreterin der Initiative Haus der Statistik. Hier entsteht ein Fundament, auf dem zivilgesellschaftliches Wissen und Engagement mit der Expertise der kommunalen Immobilienwirtschaft und Handlungsspielräumen der Verwaltung zusammengeführt werden.
 
Rechtliche Grundlage für die Entwicklung des Quartiers bildet ein Bebauungsplanverfahren, das auf den Ergebnissen eines integrierten Werkstattverfahrens fußt. Von September 2018 bis Februar 2019 erarbeiteten drei Planungsgemeinschaften städtebauliche Entwürfe, von denen der gemeinsame Entwurf der Planergemeinschaft Teleinternetcafe und Treibhaus Landschaftsarchitektur als Gewinner hervorging.
 
Aneignung und Planung durch Zivilgesellschaft
 
Seit Sommer 2019 werden im Rahmen der sogenannten Pioniernutzung ausgewählte Erdgeschossflächen der Bestandsgebäude an Akteur*innen aus den Bereichen Kunst, Kultur, Bildung, Soziales und Nachbarschaft vergeben. Diese Pioniernutzungen erproben während der Bau- und Planungsphase der nächsten Jahre prozesshaft und prototypisch, was sich später langfristig im Quartier etablieren soll. Im Hinblick auf eine langfristig nachhaltige Quartiersentwicklung können so bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Planungsphase beispielsweise flexible Betriebsmodelle und Nutzungssynergien getestet werden. Als lernender Prozess verzahnen die Pioniernutzungen kontinuierlich die Projektentwicklung mit der breiten Mitwirkung der Stadtgesellschaft und der Perspektive der Nutzer*innen. Damit bilden sie einen zentralen Baustein der kooperativen Quartiersentwicklung, in deren Rahmen sowohl langfristige Nutzungscluster, transparente Organisations- und Vergabestrukturen, als auch eine öffentlich wirksame Mitwirkung aufgebaut und kontinuierlich weiterentwickelt werden.
 
Langfristig zu planen heißt nachhaltig zu bauen
 
Spätestens seit dem Pariser Abkommen 2015 ist klar, dass nachhaltiger gewirtschaftet werden muss. Der Gebäudesektor erzeugt in Deutschland 14 Prozent der gesamten CO2-Emissionen. Mit den Emissionen, die durch die Herstellung von Strom, Fernwärme und Baustoffen entstehen, liegt er sogar bei 28%. Mithilfe von zirkulären und ressourcenschonenden Bauen können wir diesen ökologischen Fußabdruck verringern.
 
Es gilt, den Planungsprozess rund um das Haus der Statistik so zu gestalten, dass die vor Ort vorhandenen Materialien & Bauteile als wiederverwendete oder verwertete Komponenten mitgedacht und baulich integriert werden. Darüber hinaus soll bei den Materialien oder Ressourcen, die nicht in einen zweiten Lebenszyklus eingegliedert werden, auf die nachhaltige Beschaffung geachtet werden. Faktoren wie Herkunft, Regionalität und Qualität müssen bei der Auswahl von neu zu beschaffenden Bau- und Rohstoffen beachtet und geprüft werden. Nicht nur was, sondern auch wie wir bauen, ist für die Initiative eine entscheidende Frage. Dabei geht es darum, das Quartier auf zukünftige Nutzungsänderungen vorzubereiten und eine klimafreundliche Konstruktion mit der Verwendung ökologischer und gesunder Baustoffe zu verbinden.
 
Das Thema Nachhaltigkeit ist schon jetzt ein grundlegender Bestandteil der Arbeit durch die Pioniernutzer*innen. Das 2019 gegründete Haus der Materialisierung umfasst zahlreiche Angebote in den Bereichen des Sharing, Re-Use, Repairing und Upcycling und wird Rahmen des Berliner Energie- und Kli- maschutzprogramms 2030 von der Koop5, der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert. Eine Beteiligung der Pioniernutzer*innen beim Ausbau der Flächen stellt einen Gewinn für die nachhaltige Planung dar und kann auf die Expertise und die tatkräftige Unterstützung der Nutzer*innen zurückgreifen.
 
Neue Formen gemeinschaftlicher Verantwortung für öffentliche Ressourcen
 
In der Regel haben zivilgesellschaftliche Initiativen, Stadtgesellschaft und Nachbarschaften wenig Einflussmöglichkeiten auf den Geschäftsbetrieb und strategische Entscheidungen innerhalb landeseigener Unternehmen, die für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, Gewerbe und Sozio-Kultur zuständig sind. Maximal kann hier über beigeordnete Beiräte wie (z.B. Mieterbeiräte) “mitgewirkt” werden. “Eine öffentliche Beteiligung in Stadtentwicklungsprozessen sollte alle städtischen Akteure einbeziehen. Es gilt, neue Formen der Beteiligung zu unterstützen und zu verbessern. Dazu zählen die Koproduktion sowie gemeinschaftlichen Gestaltungsprozesse.”(- Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2021)
 
Um eine ernsthafte partnerschaftliche Kooperation zwischen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und gemeinwohlorientierter Immobilienwirtschaft zu erreichen, bedarf es in Zukunft vielfältiger Rahmenbedingungen: Vertrauen gegenüber zivilgesellschaftlich getragenen Stadtentwicklungsprojekten, langfristig wirtschaftliche Autonomie, die Möglichkeit und den Willen zur Selbstverwaltung, eine ermöglichende Anwendung des Haushalts-, Vergabe- und Wettbewerbsrechts sowie eine konsequente Einbindung aller Partner*innen in die politischen Entscheidungsprozesse über öffentliche Ressourcen im Bereich der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung. (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2020)
 
Die komplexe Quartiersentwicklung erfordert daher ein hohes Maß an Engagement von allen Beteiligten. Mit der sogenannten Bedarfsplanung wurde durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ein Weg gefunden, wie die planerische Arbeit des zivilgesellschaftlichen Partners ZUsammenKUNFT Berlin eG honoriert werden kann. Die Bedarfsplanung umfasst die einzelnen Bausteine aus dem Nutzungsprogramm der Initiative Haus der Statistik, sowie die Erarbeitung von Trägermodellen für den Bau und Betrieb dieser Flächen sowie der gemeinschaftlich genutzten Freiflächen im Quartier.
 
Für die langfristige Sicherung der Flächen und die dauerhafte Bezahlbarkeit strebt die ZKB eG eine Public-Civic-Partnership an: Ein Modell der Selbstverwaltung in partnerschaftlicher Kooperation und mit hoher Entscheidungskompetenz bei den Nutzer*innen. Zivilgesellschaftliche Akteure werden als Beteiligte direkt in die Bewirtschaftung öffentlicher Liegenschaften eingebunden und übernehmen Verantwortung in den Gremien und Organen.
 
Die angestrebte Public-Civic-Partnership besteht aus folgenden Bausteinen:
 
• gemeinnützige Stiftung im Projektverbund
• mit einer Bauherren gGmbH und Betriebs-Genossenschaften
• einer Quartiers-Genossenschaft für den Betrieb bzw. Kuratierung der EG-Zonen und Freiräume
• und ein Verein aller Nutzer*innen zur Mitwirkung im Quartiers-Gremium und der Quartiers-Genossenschaft
 
Das Land Berlin und ggf. ihre Unternehmen sollen eine geteilte Wächterfunktion über die zukünftige Verwendung der Grundstücke und Flächen der Initiative in einer neu zu gründenden Gemeinwohl-Stiftung Stadt übernehmen. Diese könnte als Wächterin auch an anderen Standorten zum Einsatz kommen. Um soziokulturelle Flächen und inklusive experimentelle Wohnflächen zu realisieren, werden zwei Betriebsgenossenschaften in Zusammenarbeit mit einer gemeinnützigen Bauträger-GmbH gegründet. Letztere soll auch an anderen Standorten in Verknüpfung mit der Wächterstiftung zum Einsatz kommen.
 
Dauerhafte Sicherung nutzergetragener und gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung
 
Für die Flächen im Bestand (Haus A und EG Zonen) wird von der ZKB eG gefordert, ein entsprechendes Untererbbaurecht (99 Jahre) und für die Flächen im Neubau das gängige Erbbaurecht (99 Jahre) an einen zu gründenden Träger entweder in Direktvergabe oder per Konzeptvergabe zu übertragen. Im Gegenzug würde sich der von der Initiative gegründete Träger für die gesamte Laufzeit des Erbbaurechts verpflichten, bezahlbare Mieten und Belegungsbindungen für sozio-kulturelle Nutzungen nachhaltig zu sichern. Über eine Mietspreizung können zukünftige Nutzungen mit sehr geringer wirtschaftlicher Potenz aber erheblichem Mehrwert für die Quartiersentwicklung aktiver Bestandteil des Public-Civic-Partnerships werden.
 
Für den (Aus-)Bau der Initiativflächen wird der Einsatz von „zivilem“ Eigenkapital, die Einwerbung von investiven Objektförderungen über Mittel der EU, Bund oder Land und Fremdkapital von ethischen Banken angestrebt. Im Betrieb soll die wirtschaftliche, finanzielle und operative Verantwortung mit Belegungsrechten und -pflichten über eigene, kooperative Trägermodelle mit klarer Fixierung von gemeinwohlorientierten Nutzungen in Erbbaurechtsverträgen gesichert werden.
 
Ein grundlegende Herausforderung für die langfristige Bezahlbarkeit aller Initiativflächen liegt im Umgang mit sehr hohen Verkehrswerten der Grundstücke. Um die Wirtschaftlichkeit der Nutzungen im Betrieb gewährleisten zu können, gibt es folgende Möglichkeiten:
 
1. Gestaltung Verkehrswert durch Definition planungsrechtlicher Rahmenbedingungen, Wertminderung durch dauerhafte Nutzungs-, Belegungs- und Mietpreisbindung
 
2. Abweichung von geltenden Erbbauzinssätzen im Rahmen der Landes- haushaltsordnung, Begründung besonderes Interesse Land Berlin
 
3. residuale Ermittlung der Erbbauzinsen bzw. Verkehrswert Grundstück gemessen an zu erwartenden Mieteinnahmen in gemeinwohlorientierter Immobilienentwicklung, bedarfsgerechte Miethöhe für sozio-kulturelle Nutzungen und Wohnen
 
Die Initiative Haus der Statistik und die ZUsammenKUNFT Berlin eG blickt optimistisch in die Zukunft, aber ohne die Unterstützung von Politik und Verwaltung durch die Ausnutzung von Ermessensspielräumen in der Entwicklung und Vergabe von Grundstücken wird der Modellcharakter des Projektes auf Dauer nicht zu halten sein. Deshalb können die Hinweise auf das Projekt Haus der Statistik und die Bereitschaft für eine kooperative Stadtentwicklung im aktuellen Koalitionsvertrag des Rot-Grün-Roten Senats positiv in die Zukunft blicken lassen. Wie dieses Thema von der frisch berufenen Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt im Konzert der Stadtentwicklungspolitik umgesetzt wird, bleibt abzuwarten.
 
 
Weiterführende Links:
 
Website des „Haus der Statistik“: www.hausderstatistik.org
 
Über den vielfältigen Prozess am Haus der Statistik hat die ZUsammenKUNFT Berlin eG mittlerweile drei lesenswerte Broschüren veröffentlicht, die auf Deutsch und Englisch verfügbar und online abrufbar sind:
 
Quellen:
 
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hg.) (2020): Glossar zur gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung. Bonn.
 
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hg.) (2021): Neue Leipzig-Charta. Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl. Bonn.
 
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