Ein Beitrag von Jördis Binroth.
Dieser Text erschien zuerst Mai 2022 im Immovielien-Heft 2. Das gesamte Heft ist hier digital abrufbar oder über die Koordinierungsstelle als Printversion erhältlich.
Mit der nestbau AG hat sich 2010 ein kleiner Kreis um Gründungsvorstand Gunnar Laufer-Stark aufgemacht, Neuland im Bereich der Wohnungswirtschaft zu betreten. Wie kann man (Immobilien-)Wirtschaft als Unternehmen anders denken und die Instrumente des Wirtschaftssystems nutzen, aber statt nur sich selbst auch andere bereichern? Jördis Binroth von der nestbau AG berichtet über das Konzept der gemeinwohlorientierten Aktiengesellschaft und die Symbiose aus immobilienwirtschaftlicher Herangehensweise und der Implementierung von Immovielien-Ansätzen.
Eine Rechtsform subversiv genutzt
Die nestbau AG ist eine gemeinwohlorientierte Bürger-Aktiengesellschaft für Wohnungsbau. Gemeinwohlorientiert UND Bürger- UND Aktiengesellschaft – wie kann denn das zusammenpassen?
Es passt, denn eine AG ist – entgegen der Annahme vieler – nicht dazu verpflichtet, renditemaximierend zu wirtschaften. Die Aktiengesellschaft eignet sich aber sehr gut, um die wirtschaftliche Kraft von Klein- und Kleinstinvestor*innen zweckbezogen zu bündeln. Mit unserem Denkansatz kann man das Beste aus der klassischen Geldanlage und dem Gemeinschaftssinn der Genossenschaft verbinden, indem wir die Stimmen nicht nur nach der Höhe der Einlage gewichten. Auch geht es in der Unternehmensführung nicht um den Gewinn des einzelnen, z. B. der Vorstände, sondern um den Gewinn für das Quartier.
Darum unterscheidet sich die Satzung der nestbau AG von der der meisten anderen Aktienunternehmen durch einige elementare Punkte:
1 Gegenstand des Unternehmens
Als Ziel des Unternehmens sind Projektierung, Bau und Vermietung von Immobilien festgelegt, allerdings unter Auflagen: Gebäude der nestbau AG müssen „möglichst wertbeständig errichtet werden und einer sozial und ökologischen zuträglichen Stadtentwicklung dienen;“ (Seite 2 §2 (1), Satzung der nestbau AG). Weiterhin ist bei der Vermietung und Verwaltung von Immobilien der Erhalt einer Immobilie gleichwertig mit dem Erzielen einer „maßvollen Rendite“ (ebenda) zu sehen und muss mit Blick auf „soziale, ökologische und städtebauliche Belange“ vonstattengehen. Da dieser Unternehmenszweck in der Satzung verankert ist, ist er bindend bei allen Firmenentscheidungen zu berücksichtigen.
2 Verteilung des Stimmrechts
Laut Satzung darf jede Aktionärin und jeder Aktionär maximal 5% des Stimmrechts auf sich vereinen – unabhängig von der Einlagesumme (Seite 11 §21 (3), Satzung der nestbau AG). Um Teile der Satzung, wie zum Beispiel das Firmenziel zu ändern, bedarf es einer Mehrheit von 75% aller Aktionär*innen, die bei der Abstimmung darüber anwesend oder per Vollmacht auf der Hauptversammlung vertreten sind. So wird durch die Stimmrechtsbegrenzung gewährleistet, dass Entscheidungen auf der Hauptversammlung dem Willen der Mehrheit der teilnehmenden Bürger*innen entsprechen und nicht von der Mehrheit des Kapitals diktiert werden.
Die rund 500 – ganz überwiegend selbst gemeinwohlorientierten – Aktionär*innen [Stand: Februar 2023] stellen damit sicher, dass keine grundlegende Änderung der Unternehmens-Philosophie beschlossen werden wird.
3 Verdienstgefälle
Die Bezüge eines Vorstandes dürfen maximal das Dreifache des niedrigsten Lohnes im Vollzeitäquivalent betragen (Seite 5 §8 (4), Satzung der nestbau AG). Mit dieser Klausel beugen wir einem zu hohen Lohngefälle vor. Und: Eine Person, die sich von einer Vorstands-Stelle eine persönliche Geldquelle erhofft (und vielleicht auch sonst die soziale Grundausrichtung der AG nicht teilt) wird unter diesen Bedingungen eher kein Interesse an der Arbeit in der nestbau AG haben.
Immobilien als Lebensraum begreifen
Die private Immobilienbranche mit ihrem Renditefokus diskriminiert leider häufig und gelegentlich vielleicht sogar unbewusst. Das zeigt sich in mehr oder weniger subtilen Entscheidungen, wie einer geringeren Ausstattungsqualität von Sozialwohnungen, dem Ablehnen oder Aufschieben von Reparaturen und mangelnder Transparenz in den Nebenkosten. Auch in der Frage der Bereitstellung oder Sanierung von Gemeinschaftsflächen werden oft Investitionen gescheut, besonders in Vierteln mit geringerem Durchschnittseinkommen der Bewohner*innen.
Viele Vermieter*innen (auch Privatpersonen) sind buchstäblich „weit weg“ und sehen ihre Mieter*innen als Zahlen und ihre Häuser als Profitmaschine. So fällt es leicht, die Wohnumstände und die implizite Wertung, was als Lebensstandard ausreichen muss, zu ignorieren.
Wir treten für ein Umdenken in der Gesellschaft ein und handeln auch entsprechend. Wir achten in unseren Häusern nicht nur auf gute Bestandspflege und einheitliche Qualität in der Wohnungsausstattung, sondern haben es bisher immer geschafft, eine gute Durchmischung unserer Bewohner*innen zu erzielen. Das betrifft nicht nur das Einkommen, sondern auch kulturelle Diversität und die Integration von Menschen mit Einschränkungen in die Hausgemeinschaft.
Weiterdenken und noch weiterplanen
Das Bauen von Häusern ist immer eine Tätigkeit, die weit in die Zukunft vorgreift. Einmal versiegelter Boden bleibt versiegelt. Baustoffe überdauern immense Zeitspannen – ob genutzt oder ungenutzt spielt dabei keine Rolle. Unsere Planung heute entscheidet, ob die Ressourcen auch morgen und übermorgen noch sinnvoll gebunden sind und gut genutzt werden können. Unsere Planung heute muss auch im Blick haben, dass Bautätigkeiten und die Nutzung von Gebäuden (noch) auf endliche Ressourcen zugreifen.
Im Bereich Ressourcen hat mittlerweile ein Umdenken begonnen. Holzbauten entstehen allerorten und senken so langfristig die rohstoffbedingten Emissionen im Baugewerbe. Allerdings schlagen ökologische Baustoffe auf die Baukosten. Daher kann die Wahl der Baustoffe nur eine Komponente einer Bauwende sein.
Darüber hinaus gilt es auch, eine bestmögliche Nutzung der Flächen zu erzielen. Klug konzipierte Grundrisse, die viel Flexibilität für später möglicherweise geänderte Nutzungskonzepte lassen, sind ein entscheidender Schritt, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Erst wenn Umbauten in einem Haus weniger kosten als es abzureißen und neu zu bauen, ist die Baubranche in einer nachhaltigen Bauplanung angekommen.
Die planerische Flexibilität der Grundrisse wird immer wichtiger. Es geht nicht nur um mögliche Nachnutzungen, sondern auch um neue Wohnkonzepte und Flächenplanung. Der Wohnflächenverbrauch pro Kopf steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich und vor allem proportional zum Alter der Wohnenden.
Wir wollen suffizient sein. Das bedeutet, weniger Verbrauch (von allem) bei gleichbleibender Lebensqualität zu erreichen. Wir glauben daran, dass gemeinschaftliche Wohnformen ein wichtigen Beitrag dazu leisten können, suffizienter zu wohnen.
Wider die kapitalistische Deutungshoheit
Als Unternehmen agieren wir in den Strukturen des Marktes und können uns nicht ganz von dessen Regeln entfernen. Wie wir diese Gegebenheiten nutzen, ist allerdings nirgends festgeschrieben. Niemand kann uns zwingen, der Maxime der Renditeoptimierung zu dienen und immer schneller, weiter und höher sein zu müssen.
Mit dem Gedanken der Gemeinwohl-Ökonomie haben wir einen Ansatz gefunden, unsere Vorstellungen mit unserer Marktumgebung in Einklang zu bringen. Vor dem Baubeginn unseres ersten nestbau-Hauses hielten potenzielle Investor*innen und vor allem Banken unsere Herangehensweise für zu idealistisch. Heute sind wir 4.000 Quadratmeter vermietbare Fläche weiter und werden häufig direkt von Kommunen oder Grundstücksbesitzer*innen für gemeinwohlorientierte Bauvorhaben angefragt. Sogar überregional. Und damit auch andere von unseren Erfahrungen profitieren können, beraten wir inzwischen auch gemeinschaftliche Wohnprojekte (und haben dazu leider mehr Anfragen als Zeit, sie zu bearbeiten). Wir werten das als Zeichen dafür, dass Transformation innerhalb der Strukturen tatsächlich funktionieren kann. Wer macht‘s? Wir und alle, die sich trauen!
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Die
Website der nestbau AG bietet weitere Informationen über das Konzept der gemeinwohlorientierten Aktiengesellschaft.
Die
Satzung der nestbau AG kann ebenfalls online heruntergeladen werden.
Das Immovielien-Heft 2: Hier online abrufbar oder als Printversion auf Anfrage (kontakt@netzwerk-immovielien.de).