Fotos: ufaFabrik

ufaFabrik Berlin

Berlin Tempelhof, ein historischer Ort für Berlin. Auch nach der Schließung des Flughafens ein fester Begriff unter Berlin-Urlaubern und aktuell auch unter Geflüchteten. Doch nur wenige der Touristen werden vom ehemaligen Flughafengelände weiter gen Süden vordringen. Wer den Schildern in Richtung Finanzamt und Jobcenter folgt und in die unscheinbare Viktoriastraße einbiegt, erlebt eine Überraschung. Die Urmutter, die Grand Dame der Immovielien: die ufaFabrik. Seit 1979 wird hier gemeinsam gewohnt, Nachbarschaft gelebt und gearbeitet.

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Projekt

Nachbarschaftliches ökologisch nachhaltiges Multifunktionsprojekt mit Wohnraum, Schule, Bio-Bäckerei, Kinderbauernhof, Zirkus, Veranstaltungsbetrieb, Gästehaus, Café sowie einem Sozialträger, der einen Familientreffpunkt auf dem Gelände und diverse Kindertagesstätten, Schulstationen und Jugendeinrichtungen im Bezirk betreibt.

Gebäudetyp/Flächen

Ehemaliges Fabrikgelände mit Alt- und Neubauten aus den 1930er/50er/90er und 2010er Jahren

Gesamtfläche: 18.500 ha
Nutzfläche: 7 Gebäude mit ca. 10.000 qm
Wohnfläche: 2.000 qm
Büro-, Vereins- und Gewerbefläche: 5.000 qm
Veranstaltungsfläche: 3.000 qm

 

Lageplan ufaFabrik siehe Fotos oben

Projektstatus

etabliertes Projekt seit 1979

Das Besondere – Erfolgsbausteine

Ausgangspunkt war ein leerstehendes, vom Abriss bedrohtes ehemaliges Kopierwerk der Ufa Film Aktiengesellschaft und Gelände in Berlin-Tempelhof, wo es in den 70er Jahren kaum Kulturangebote gab.

Die Gruppe besetzt das Areal und bekommt rasch einen Mietvertrag. In einer „Charmeoffensive“ waren die Nachbarn auf das Gelände geladen worden, mit Vertretern von Politik und Verwaltung wurde aktiv Kontakt aufgenommen.

Seit der Übernahme des ehemaligen UFA-Filmkopierwerks im Sommer 1979 wird kontinuierlich an der Nachhaltigkeit in Gestaltung und Entwicklung des Geländes gearbeitet. 2004 wurde die ufaFabrik von der UN Habitat aus über 700 weltweiten Bewerbern zu einem der Pilotprojekte für ein nachhaltiges Lebensumfeld ausgezeichnet.

In der Aufbauphase war es der Gruppe wichtig, gemeinsam zu wirtschaften. Die Mitglieder verzichteten auf privates Geld. Alle Einnahmen und Ausgaben wurden in einer Kasse gebündelt. Auf Fördermittel wurde verzichtet.

Als eine Fortsetzung des bisherigen Wirtschaftens aus steuerlichen Gründen nicht mehr möglich war, einigte sich die Gruppe darauf, sich den Gegebenheiten anzupassen und die gemeinsame Ökonomie zu beenden. Stattdessen entstanden verschiedene Vereine und Betriebe mit unterschiedlichen Aufgaben. In der Folge wurden nun Aktive für ihre Arbeit bezahlt, wovon diese wiederum Miete und Kostgeld an den Dachverein zahlten. Dies erschwerte zwar den Zusammenhalt der Gruppe, ermöglichte aber auch die Vergrößerung und Professionalisierung insbesondere der sozialen und kulturellen Angebote.

Chronologie

Am Anfang


1921-1956: In den 1920er Jahren entstehen auf dem Gelände viele UFA-Filme, darunter Großproduktionen wie „Metropolis“. In den 30er Jahren wird hier die „Wochenschau“ produziert. Mit der Verstaatlichung der UFA durch die Nationalsozialisten 1933 wird das Gelände zu einem Zentrum der faschistischen Propaganda in Deutschland. Später werden hier Nachkriegs- und Heimatfilme produziert.

1961: Mit dem Mauerbau ist das Gelände von den UFA-Studios in Potsdam-Babelsberg abgeschnitten.

Frühe 70er Jahre: Das landeseigene Gelände wird von der UFA aufgegeben. Die Deutsche Post interessiert es als Standort für ein Logistikzentrum, verwirft die Pläne aber wieder.


Aufbau


1979: Während die Deutsche Post mit dem Land Berlin über einen Verkauf verhandelt, wird das Gelände besetzt. Die „friedliche Inbetriebnahme“ macht das zuvor verschlossene Gelände erstmals den Berlinern zugänglich. Die Freie Schule Berlin nimmt ihren Betrieb auf.  Noch im gleichen Jahr erhält die Gruppe einen Mietvertrag.

1979: Gründung des ufaCircus aus den Reihen der Aktiven; später Gründung der KinderCircusSchule.

1980: Eröffnung von Café, Bäckerei, Bio-Laden und Open-Air-Bühne. In den ersten sechs Monaten finden 40.000 Besuche auf dem Gelände statt.

1981: Eröffnung des einzigen Kinos Tempelhofs.

1982: Eröffnung des ersten Freilichtkinos Berlins.


Verstetigung


1986: Erbbaurechtsvertrag mit 35 Jahren Laufzeit.

1990: Umfassende Renovierung der Veranstaltungssäle.

2004: Auszeichnung von der UN Habitat aus über 700 weltweiten Bewerbern zu einem der Pilotprojekte für ein nachhaltiges Lebensumfeld.


Auf lange Sicht


1991: Basisförderung des Kulturvereins durch das Land Berlin (Miete, Strom, 6 Personalstellen). Seitdem: Fortlaufende Professionalisierung und Vergrößerung des Kulturbetriebs als Internationales Kulturzentrum ufaFabrik. Die Verhandlungen über eine Anpassung der Höhe des Erbpachtzinses stehen in 2018 an, hier wird angelehnt an die Preissteigerungen im Mietspiegel mit einer Erhöhung gerechnet.

1997: Gründung des Nachbarschafts- und Selbsthilfe- Zentrum (NUSZ) und Basisförderung der Sozialdienstleistungen durch den Senat von Berlin.

Finanzierung

In der Gründungsphase wurden zunächst alle für Lebenshaltung, Instandsetzung, Miete und Investitionen nötigen Mittel mit gemeinsamen Arbeitseinsätzen, u. a. Straßenshows und Handwerksaufträgen eingenommen. Vieles wird durch ehrenamtliche Arbeit ermöglicht. Später wird die gemeinsame Kasse abgeschafft. Die Aktiven bekommen nun Vergütungen und zahlen im Gegenzug für ihren Wohnraum Miete und Kostgeld (für Kinder und Jugendliche wird nichts gezahlt).

In der Anfangszeit werden Privatdarlehen in Höhe von 360.000 D-Mark aufgenommen und später teilweise zurückgezahlt oder in Schenkungen umgewandelt.

Seit 1991 wird das Kulturzentrum der ufaFabrik vom Land Berlin gefördert. Inzwischen wird etwa ein Drittel der notwendigen Mittel in Form staatlicher Förderung eingenommen, auch für die soziale Arbeit.

Die einzelnen Betriebe auf dem Gelände finanzieren sich selbst und zahlen eine Miete an den Trägerverein, der sich teilweise an ihren finanziellen Möglichkeiten orientiert.

Organisationsform

Dachorganisation, Erbbaurechtsnehmer und Eigentümer sämtlicher Gebäude ist der Verein ufaFabrik Berlin. Mitglieder sind alle auf dem ufaGelände wohnenden Personen. Der Verein betreibt das Gästehaus und tritt gegenüber den eigenständigen Organisationen als Vermieter auf. Eigenständige Bereiche liegen in der Verantwortung folgender Institutionen:

  • Internationales Kulturzentrum ufa-Fabrik e. V.
  • ufaFabrik Circus e. V.
  • Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum in der ufaFabrik e. V. (NUSZ) mit dem Kinderbauernhof
  • Café Olé GbR
  • Freie Schule in Berlin e. V.

Die ehemals hauseigene Bäckerei wurde inzwischen an eine Bioladen-Kette übergeben, die als Pächterin auch eine Ladenfiliale auf dem Gelände betreibt.

Anfangs fanden sämtliche Aktivitäten unter der Verantwortung eines einzigen Vereins statt. Später fanden zunehmend Aus- und Neugründungen statt. Heute existiert ein Geflecht von insgesamt 13 weitgehend voneinander unabhängigen Organisationen, die jedoch eng kooperieren.

Kommunikation

Insbesondere in den Anfangsjahren wendet sich die Gruppe stark nach außen. Straßenshows sind wichtige Einnahmequellen und Öffentlichkeitsarbeit in einem. Es wird bewusst mit Vertretern aller Parteien verhandelt. Mit einem Plakat mit der Aufschrift „Herzlich willkommen“ wird die Besetzung einer geschlossenen Gruppe erfolgreich als Inbetriebnahme durch die Bürger inszeniert.

Es findet eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit statt, ein Informationsbüro mit Vorverkaufskasse ist tagsüber besetzt.

Teamentwicklung

Café, Schule, Kulturbetrieb, Zirkus und Nachbarschaftszentrum haben jeweils eigene Strukturen und betreiben in unterschiedlicher Weise Teamentwicklung. Der Verein ufaFabrik Berlin als Zusammenschluss der Bewohner ist übergeordnete Entscheidungsinstanz und trifft sich nach Bedarf. Er hat jenseits der Mitgliederversammlung keine formalen Strukturen zur Teamentwicklung herausgebildet.

Wichtiges Gremium ist auch die Leitungsrunde, in der die Verantwortlichen der verschiedenen Bereiche regelmäßig zusammenkommen.

Immobilien/Planen/Bauen

Das Gelände wird seit Beginn durch die Bewohner instandgesetzt und -gehalten. Anfangs vor allem mit aufwändigen Arbeitseinsätzen durch alle dort Aktiven. Heute liegt die Geländeverwaltung beim ufaFabrik Berlin e.V. Die einzelnen Bereiche unterstützen und kooperieren bei Bauprojekten, welche die von ihnen genutzten Teile betreffen.

Nachbarschaft und Stadtteil

Die ufaFabrik wird von allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten genutzt. Im Jahr kommen rund 300.000 Besucher.

Das Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum ist ein wichtiger sozialer Träger im Bezirk. Abgesehen vom Kinderbauernhof und einem Familientreffpunkt mit vielen Kursangeboten findet ein Großteil der Angebote außerhalb des ufa-Geländes statt, vom Betrieb mehrerer Kindertagesstätten über Familienberatungsstellen bis zur Ehrenamtsvermittlung.

Stolpersteine

In den ersten Jahren flossen alle Einnahmen in eine Kasse, aus der sämtliche Ausgaben bestritten wurden. Ohne privates Geld zu leben, wurde dabei nicht als Verzicht wahrgenommen, sondern war Ausdruck der persönlichen Verbundenheit der Gruppe. Das wirtschaftliche Überleben und der Aufbau des Projektes waren dadurch überhaupt nur möglich. Die Besteuerung auch interner Vorgänge durch das Finanzamt erzwang jedoch eine strukturelle Ausdifferenzierung, die in ihrer Folge auch die Einführung von Gehältern und Mieten notwendig machte. Der Anspruch, in gemeinsamer Ökonomie zu leben, war damit gescheitert.

Ohne den großen Kreis an Unterstützern und die niedrige Pacht wäre ein wirtschaftliches Bestehen in den Anfangsjahren unmöglich gewesen. Heute bezieht die ufaFabrik für den kulturellen und sozialen Teil der Arbeit eine Basisförderung von der öffentlichen Hand. Ein Umstand, der zu Beginn als Abhängigkeit abgelehnt wurde.

Die ufaFabrik hätte heute sehr viel mehr finanziellen Spielraum, wenn sie das Gelände damals nicht gepachtet, sondern gekauft hätte.

Dem engen finanziellen Rahmen wurde mit vergleichsweise geringen Gehältern und ehrenamtlicher Arbeit für die Aktiven begegnet. Wer seit bald 40 Jahren in Vollzeit für das Projekt ufaFabrik gearbeitet hat, wird deshalb im Alter nur über einen geringen Rentenanspruch verfügen.

Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?

2018 wird eine Anpassung des Erbbauzinses aufgrund der Immobilienwertsteigerung stattfinden, die die Finanzen des Projekts belasten wird. Bis dahin werden kreative Finanzkonzepte zu erarbeiten sein.

Links & Downloads

Autor: Hannes Heise, Michael Stellmacher