Berlin Tempelhof, ein historischer Ort für Berlin. Auch nach der Schließung des Flughafens ein fester Begriff unter Berlin-Urlaubern und aktuell auch unter Geflüchteten. Doch nur wenige der Touristen werden vom ehemaligen Flughafengelände weiter gen Süden vordringen. Wer den Schildern in Richtung Finanzamt und Jobcenter folgt und in die unscheinbare Viktoriastraße einbiegt, erlebt eine Überraschung. Die Urmutter, die Grand Dame der Immovielien: die ufaFabrik. Seit 1979 wird hier gemeinsam gewohnt, Nachbarschaft gelebt und gearbeitet.
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Zwischen gründerzeitlicher Wohnbebauung öffnet sich hier ein Gelände ganz eigener Art. Eine Informationstafel weist gleich am Eingang auf die verschiedensten Angebote hin, die hier Platz finden: Bioladen, Gästehaus, Freie Schule, Spielplatz, Kinderbauernhof, Café und Restaurant, Theatersäle und Salons, Ateliers, Sommerbühne, Proberäume, Musikschule, Tonstudio, Tanzraum, Zirkus, Nachbarschaftszentrum, Bäckerei und Seminarräume. Die Gebäude sind in gutem Zustand, die Dächer begrünt und mit Solar-Paneelen bestückt. Ganz unterschiedliche Gruppen des Viertels kommen hier zusammen, nicht zuletzt wegen der baulichen Struktur: Hinter den Büros laufen die Kinder aus der Trainingshalle, wer ins Café will, kommt an der Musikschule vorbei und wer die Kinder von der Schule holt, bleibt kurz am Bioladen hängen. Vieles geschieht gleichzeitig: Im Dojo, einer Übungshalle für Kampfkunst, wird trainiert, während müde Eltern auf ihre Kinder warten, die vom Zirkusangebot nicht genug kriegen können. In unzähligen Büros wird gearbeitet und aus einem Keller sind Gitarrenklänge und ein Klavier zu hören.
Hinter dem Gästehaus und dem Schulgebäude liegt eine Freifläche mit Spielplatz. Dieser ist zur einen Seite von einem Wohnhaus, zur anderen von Ställen begrenzt. Zwei Ponys werden gerade von mehreren Kindern gestreichelt, Gänse laufen schnatternd über den Weg und in einer Reihe von Käfigen mümmeln Kaninchen frisches Gras. Die ufaFabrik bietet hier auf nicht einmal zwei Hektar Fläche pulsierendes, nachbarschaftliches Leben. Das Ergebnis von fast vier Jahrzehnten intensiver Arbeit, die mit einer Besetzung begann.
Geschichte: Von gefilmten zu gelebten Träumen
In der Aufbruch- und Widerstandsstimmung der 70er Jahre mietete eine Gruppe von Aktivisten zwei Fabriketagen in Schöneberg und organisierte dort Seminare zu Themen der Alternativbewegung. Doch die Anzahl der Interessierten überstieg bald die räumlichen Möglichkeiten und für die unzähligen Ideen zur gesellschaftlichen Veränderung wurde Platz benötigt, der eine Umsetzung ermöglichte. Doch Verhandlungen über die Bereitstellung möglicher Flächen und Gebäude erwiesen sich als schwerfällig. Bald war klar: „So viel Zeit, wie das dauert, haben wir nicht!“ Das seit Jahren leerstehende ehemalige Gelände der UFA-Filmwerke schien für die vielfältigen Vorhaben der Gruppe ideal. Im Sommer 1979 besetzte sie mit rund 100 Menschen unterschiedlichen Alters das Gelände. Von Anfang an wurde eine Willkommenskultur mit den Nachbarn gepflegt. Ziel war die Erlangung eines Mietvertrags. Die Besetzung wurde erfolgreich als „friedliche Inbetriebnahme“ vermittelt, indem sie das zuvor verschlossene Gelände erstmals der interessierten Nachbarschaft zugänglich machte. Diverse Kulturveranstaltungen lockten von Beginn an Besucher auf das Gelände und mit Straßenshows wurde gleichzeitig Geld für das Projekt eingesammelt und Werbung gemacht. „Der Kinderzirkus war ein Türöffner, die Kinder brachten dann ihre Eltern mit.“ Innerhalb von nur drei Wochen sammelte die Gruppe 30.000 Unterschriften für das Projekt. Bald nahm die Freie Schule Berlin ihren Betrieb auf dem Gelände auf. In zahlreichen Einzelgesprächen mit Mitgliedern aller Fraktionen konnte die Stadtverordnetenversammlung für das Vorhaben gewonnen werden. Sigrid Niemer, die bis heute im Projekt aktiv ist, schaut zurück: „Wir haben mit jedem geredet, der freundlich zu uns war, das war in der politischen Landschaft ein Novum und hat uns eine Menge Sympathien eingebracht.“ So kam es, dass das Land Berlin das Gelände erwarb, um es der Gruppe zu verpachten.
Die 100 Aktiven standen nun vor einer Herkulesaufgabe: die Gebäude galt es zu sanieren und für die unterschiedlichsten Zwecke herzurichten. In rascher Folge wurden ein Café, eine Bäckerei, ein Bioladen und die Open-Air-Bühne eröffnet. In den ersten sechs Monaten fanden rund 40.000 Besuche auf dem Gelände statt. Die Gruppe verstand sich als Kollektiv, Chefs gab es nicht. In vielen ihrer Aktivitäten betrat die ufaFabrik Neuland und gelten bis heute als Öko-Pioniere der Nachhaltigkeit. So eröffnete sie unter anderem 1981 im alten Vorführraum das zu dieser Zeit einzige Kino Tempelhofs und 1982 das erste Freilichtkino Berlins. Auf dem Gelände wurden die ersten Solaranlagen installiert und ein ausgedienter Lkw-Motor zur Kraft-Wärme-Kopplungsanlage (liebevoll „Mao-Diesel“ genannt) umgebaut. Wohnraum wurde hergerichtet, Veranstaltungs- und Seminarräume in Betrieb genommen, der ufaFabrik Cirkus gegründet, zahllose Seminare und Kurse angeboten und die hauseigene Bio-Bäckerei in Betrieb genommen. Sämtliche Aufgaben wurden in Eigenarbeit durchgeführt. 1986 wurde schließlich ein Erbbaurechtsvertrag mit 35 Jahren Laufzeit abgeschlossen. Wer heute auf die Entwicklung der Anfangsjahre schaut, fragt sich unwillkürlich: Wie war all das gleichzeitig möglich – noch dazu von einer Gruppe mit wenig Geld?
Finanzen und Organisation: Von der Kommune zum Sozialträger und Kulturveranstalter
Sigrid Niemer beschreibt die Strategie der Anfangszeit so: „Am Anfang sind wir tingeln gegangen, in kleinen Gruppen. Die brachten dann so 300 bis 400 D-Mark nach Hause. Das war unheimlich viel Geld. Eigentlich war unser System genial einfach. Alles Kleingeld in einen Topf und dann waren 500 D-Mark da, um das Café zu streichen. Danach konnte das Café arbeiten und hat dazu beigetragen, das Nächste aufzubauen. Ohne diese Bündelung hätten wir den Aufbau nicht auf die Beine stellen können. Außerdem haben wir Leute gebeten, unsere Sache mit einem zinslosen Darlehen zu unterstützen, das war damals noch eine ganz neue Idee. Auf diesem Weg haben wir von Freunden in kurzer Zeit 360.000 D-Mark bekommen.“ Auf öffentliche Förderung verzichtete die ufaFabrik bewusst: „Wir wollten nichts umsonst, wir trugen alle Kosten, wir wollten nur die Chance auf einen Vertrag — obwohl wir anfangs keine Ideen hatten, wie das funktionieren konnte.“ Aber es funktionierte. Nacheinander wurden die Gebäude saniert und für die unterschiedlichsten Zwecke hergerichtet. Auf Café, Bäckerei und Bio-Laden folgten weitere Räume für Kunst und Kultur, Bildung und Beratung. So wurde aus der ufaFabrik Berlin ein Nachbarschaftsprojekt, das Veranstaltungsort, Sportstätte und Sozialträger in einem war. Bald war für jeden etwas dabei, unabhängig von Geschlecht, Alter, Sozialschicht oder kultureller Herkunft. Ideen und Energie der Aktiven schienen unerschöpflich zu sein und das Interesse in der Nachbarschaft war riesig.
Mitte der 80er Jahre zwingen steuerliche Gründe die ufaFabrik-Macher, die bisherige Strategie des gemeinsamen, kommunarden Wirtschaftens aufzugeben. Nach vielen Diskussionen entschließen sich die Aktiven, zunehmend unternehmerisch zu handeln. Ein Dachverein wird gegründet und die zahlreichen Betriebe werden ausgegründet, was ihnen eine größere Unabhängigkeit sichert. Das Angebot des Nachbarschaftszentrums mit Kursen, Beratungsangeboten und sozialen Dienstleistungen wächst in den folgenden Jahren rasant. Nacheinander werden mehrere Jugendfreizeiteinrichtungen, Kitas, Schulstationen und ein eigener Pflegedienst ins Leben gerufen. Heute arbeiten rund 200 Menschen auf dem Gelände der ufaFabrik. Der Geist der Anfangsjahre ist vor allem in der Gruppe jener zu spüren, die auf dem Gelände leben und arbeiten. So sind die Einkommensunterschiede deutlich geringer als sonst üblich und alle Bewohner zahlen unabhängig von der Wohnfläche eine Einheitsmiete. Wenn eine Person nach Jahren des Zusammenlebens und Arbeitens die Wohnung und die Anstellung kündigt, so wird gemeinsam beraten, ob und wie viel Geld ihr oder ihm für einen Neustart mitgegeben werden soll.
Gruppen- und Entscheidungsprozesse: eine Art Familienunternehmen
Die erstaunliche Leistung, die die Aktiven auf dem Gelände der ufaFabrik in bald 40 Jahren intensiver Arbeit vollbrachten, ist nur dem engen Zusammenhalt der Gruppe zu verdanken. Die Besetzer der ersten Stunde waren kein zufälliger Zusammenschluss von Aktiven. Vielmehr hatte eine kleine Kerngruppe einzelne, ihnen vertrauenswürdige Personen informiert und war so auf 100 handverlesene Personen angewachsen. Für Nachbarn, Interessierte und Gäste stand das Gelände zwar von der ersten Stunde an offen, zu der Gruppe der Aktiven hinzuzukommen war ihnen aber zunächst nicht möglich. „Wir wollten keine anderen Leute drin haben, weil wir schon genug waren und sehr genaue Vorstellungen hatten, was wir machen wollen.“ Nach Abschluss des Mietvertrags entschied sich knapp die Hälfte der Besetzer, als Kommune auf dem Gelände zu leben und zu arbeiten.
Wichtig ist in der ufaFabrik bis heute die Integration von Wohnen und Arbeiten. Ist sie also auch heute noch eine Kommune? Sie ist als „ganzheitliches Kultur-, Arbeits- und Lebensprojekt“ im „Netzwerk politischer Kommunen“ vertreten. Für die Lebensgemeinschaft der ca. 35 Leute auf dem Gelände mag das gelten, auch wenn die alles umfassende gemeinsame Kasse der Anfangsjahre nicht mehr existiert. Die Angestellten des Nachbarschaftszentrums und auch anderer Betriebe gehören jedoch nicht dazu. Die Ausdifferenzierung in unabhängige Organisationen und die große Zahl der Beschäftigten erinnert an ein mittelständiges Sozialunternehmen. Die Irritation lässt sich nicht einfach auflösen: Letztlich ist die ufaFabrik eine Institution ganz eigener Art, fast ein Großfamilienunternehmen.
Fast alle auf dem Gelände wohnenden Personen arbeiten auch dort. Ein guter Teil der Führungspositionen in den ausgegründeten Betrieben ist mit aktuellen oder ehemaligen Bewohnern besetzt. Der Dachverein ufaFabrik Berlin e. V., der als Pächter auftritt, der die Teilflächen an die jeweiligen Gruppen weitervermietet und übergeordnete Entscheidungen auch zu größeren Investitionen trifft, setzt sich ausschließlich aus Bewohnern zusammen. Und: es herrscht Konsensprinzip, d. h. nicht die Mehrheit entscheidet, sondern es wird immer nach einer Lösung gesucht, mit der alle Beteiligten leben können. Das funktioniert, weil über die Jahrzehnte die Bewohner zu einer Art „Großfamilie“ zusammengewachsen sind.
Dass die Bewohner in der ufaFabrik eine Schlüsselposition einnehmen, könnte in den kommenden Jahren auch zum Problem werden. Denn die Aktiven der Anfangszeit nähern sich dem Rentenalter und es ist abzusehen, dass in einigen Jahren wichtige Positionen neu besetzt werden müssen. Für die neuen Aktiven wird aber voraussichtlich nicht so einfach Wohnraum frei werden. So erwägt die ufaFabrik einen Neubau am Rande des ohnehin dicht bebauten Geländes. Ein weiteres Problem ist die künftige Rente der Aktiven, denn die vergleichsweise geringen Gehälter werden knappe Renten zur Folge haben, von denen ein bequemer Lebensabend kaum möglich sein wird.
Fazit
Rückblickend wäre aus Sicht der ufaFabrik-Gründer in der Anfangszeit der Kauf des Geländes wünschenswert gewesen — aber die Kaufsumme erschien der Gruppe damals unerreichbar und der West-Berliner Senat sperrte sich gegen Verkäufe. Die jährlich anfallende Pacht schränkt heute den finanziellen Spielraum der ufaFabrik merklich ein. In einigen Jahren droht eine Anpassung des Erbbauzinses an die gestiegenen Immobilienpreise im Viertel — eine Veränderung, die den Aktiven der ufaFabrik schon heute bewusst ist. Die Visionen des Anfangs sind allgegenwärtig: Der zentrale Fußweg auf dem Gelände trägt den programmatischen Namen „Straße des 9. Juni“ — das Datum der Besetzung. Dort ist eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Geländes zu sehen. Die dort dargestellten Visionen der Anfangsjahre werfen die Frage auf: Und heute? Welche gesellschaftlichen Visionen, welche sozialen Fragen verhandelt ein Zentrum wie die ufaFabrik heute?
Vielleicht ist manche Vision von einst einfach ein selbstverständlicher Teil des Alltags geworden. Das Veranstaltungsprogramm des Nachbarschaftszentrums ermuntert zur Solidarität mit Flüchtlingen und weist auf rechtsextreme Vorfälle im Viertel hin. Oder es fördert den „Stadtdialog Energie und Klimaschutz“ des Berliner Senats zur Erstellung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms.
Als Besucher des Café Olé auf dem Gelände ist von den Ansätzen der Gründungszeit aber nicht viel zu spüren. Wer von ALG 2 lebt, wird hier nicht oft essen können. Die Eintrittspreise für Veranstaltungen im Kulturzentrum der ufaFabrik liegen meistens auch ermäßigt über 10 Euro. Ein Grund: Kulturförderung des Senats gibt es nur für finanziell selbsttragende Angebote. Eine generelle und deutliche Ermäßigung für Einkommensschwache scheint da nicht so einfach machbar. Findet hier eine feine soziale Segregation statt?
Die Aktiven der ufaFabrik bemühen sich um Abhilfe: Der Kulturbetrieb vergibt Freikarten an soziale Organisationen und Veranstaltungen mit freiem Eintritt haben ihren festen Platz im Programm.
Sicher ist: Die ufaFabrik hat in den vergangenen Jahrzehnten so viel erreicht, wie nur wenige Nachbarschaftseinrichtungen. Der Geist der Anfangsjahre ist dabei lebendig geblieben. Es ist den Aktiven gelungen, gesellschaftliche Visionen aus der Zeit der Besetzung auf vielfältige Weise Wirklichkeit werden zu lassen.
Was sich von der ufaFabrik lernen lässt? Eine entschlossene Gruppe kann neue Realitäten erschaffen! Damit hat die ufaFabrik über die Jahrzehnte zahlreiche weitere Neugründungen beflügelt. Sigrid Niemer fasst es so zusammen: „Im Grunde brauchst du nur Platz. Dann machen die Leute schon das draus, was sie brauchen.“
Text: Hannes Heise, Michael Stellmacher
Projekt
Nachbarschaftliches ökologisch nachhaltiges Multifunktionsprojekt mit Wohnraum, Schule, Bio-Bäckerei, Kinderbauernhof, Zirkus, Veranstaltungsbetrieb, Gästehaus, Café sowie einem Sozialträger, der einen Familientreffpunkt auf dem Gelände und diverse Kindertagesstätten, Schulstationen und Jugendeinrichtungen im Bezirk betreibt.
Gebäudetyp/Flächen
Ehemaliges Fabrikgelände mit Alt- und Neubauten aus den 1930er/50er/90er und 2010er Jahren
Gesamtfläche: 18.500 ha
Nutzfläche: 7 Gebäude mit ca. 10.000 qm
Wohnfläche: 2.000 qm
Büro-, Vereins- und Gewerbefläche: 5.000 qm
Veranstaltungsfläche: 3.000 qm
Lageplan ufaFabrik siehe Fotos oben
Projektstatus
etabliertes Projekt seit 1979
Das Besondere – Erfolgsbausteine
Ausgangspunkt war ein leerstehendes, vom Abriss bedrohtes ehemaliges Kopierwerk der Ufa Film Aktiengesellschaft und Gelände in Berlin-Tempelhof, wo es in den 70er Jahren kaum Kulturangebote gab.
Die Gruppe besetzt das Areal und bekommt rasch einen Mietvertrag. In einer „Charmeoffensive“ waren die Nachbarn auf das Gelände geladen worden, mit Vertretern von Politik und Verwaltung wurde aktiv Kontakt aufgenommen.
Seit der Übernahme des ehemaligen UFA-Filmkopierwerks im Sommer 1979 wird kontinuierlich an der Nachhaltigkeit in Gestaltung und Entwicklung des Geländes gearbeitet. 2004 wurde die ufaFabrik von der UN Habitat aus über 700 weltweiten Bewerbern zu einem der Pilotprojekte für ein nachhaltiges Lebensumfeld ausgezeichnet.
In der Aufbauphase war es der Gruppe wichtig, gemeinsam zu wirtschaften. Die Mitglieder verzichteten auf privates Geld. Alle Einnahmen und Ausgaben wurden in einer Kasse gebündelt. Auf Fördermittel wurde verzichtet.
Als eine Fortsetzung des bisherigen Wirtschaftens aus steuerlichen Gründen nicht mehr möglich war, einigte sich die Gruppe darauf, sich den Gegebenheiten anzupassen und die gemeinsame Ökonomie zu beenden. Stattdessen entstanden verschiedene Vereine und Betriebe mit unterschiedlichen Aufgaben. In der Folge wurden nun Aktive für ihre Arbeit bezahlt, wovon diese wiederum Miete und Kostgeld an den Dachverein zahlten. Dies erschwerte zwar den Zusammenhalt der Gruppe, ermöglichte aber auch die Vergrößerung und Professionalisierung insbesondere der sozialen und kulturellen Angebote.
Chronologie
Am Anfang
1921-1956: In den 1920er Jahren entstehen auf dem Gelände viele UFA-Filme, darunter Großproduktionen wie „Metropolis“. In den 30er Jahren wird hier die „Wochenschau“ produziert. Mit der Verstaatlichung der UFA durch die Nationalsozialisten 1933 wird das Gelände zu einem Zentrum der faschistischen Propaganda in Deutschland. Später werden hier Nachkriegs- und Heimatfilme produziert.
1961: Mit dem Mauerbau ist das Gelände von den UFA-Studios in Potsdam-Babelsberg abgeschnitten.
Frühe 70er Jahre: Das landeseigene Gelände wird von der UFA aufgegeben. Die Deutsche Post interessiert es als Standort für ein Logistikzentrum, verwirft die Pläne aber wieder.
Aufbau
1979: Während die Deutsche Post mit dem Land Berlin über einen Verkauf verhandelt, wird das Gelände besetzt. Die „friedliche Inbetriebnahme“ macht das zuvor verschlossene Gelände erstmals den Berlinern zugänglich. Die Freie Schule Berlin nimmt ihren Betrieb auf. Noch im gleichen Jahr erhält die Gruppe einen Mietvertrag.
1979: Gründung des ufaCircus aus den Reihen der Aktiven; später Gründung der KinderCircusSchule.
1980: Eröffnung von Café, Bäckerei, Bio-Laden und Open-Air-Bühne. In den ersten sechs Monaten finden 40.000 Besuche auf dem Gelände statt.
1981: Eröffnung des einzigen Kinos Tempelhofs.
1982: Eröffnung des ersten Freilichtkinos Berlins.
Verstetigung
1986: Erbbaurechtsvertrag mit 35 Jahren Laufzeit.
1990: Umfassende Renovierung der Veranstaltungssäle.
2004: Auszeichnung von der UN Habitat aus über 700 weltweiten Bewerbern zu einem der Pilotprojekte für ein nachhaltiges Lebensumfeld.
Auf lange Sicht
1991: Basisförderung des Kulturvereins durch das Land Berlin (Miete, Strom, 6 Personalstellen). Seitdem: Fortlaufende Professionalisierung und Vergrößerung des Kulturbetriebs als Internationales Kulturzentrum ufaFabrik. Die Verhandlungen über eine Anpassung der Höhe des Erbpachtzinses stehen in 2018 an, hier wird angelehnt an die Preissteigerungen im Mietspiegel mit einer Erhöhung gerechnet.
1997: Gründung des Nachbarschafts- und Selbsthilfe- Zentrum (NUSZ) und Basisförderung der Sozialdienstleistungen durch den Senat von Berlin.
Finanzierung
In der Gründungsphase wurden zunächst alle für Lebenshaltung, Instandsetzung, Miete und Investitionen nötigen Mittel mit gemeinsamen Arbeitseinsätzen, u. a. Straßenshows und Handwerksaufträgen eingenommen. Vieles wird durch ehrenamtliche Arbeit ermöglicht. Später wird die gemeinsame Kasse abgeschafft. Die Aktiven bekommen nun Vergütungen und zahlen im Gegenzug für ihren Wohnraum Miete und Kostgeld (für Kinder und Jugendliche wird nichts gezahlt).
In der Anfangszeit werden Privatdarlehen in Höhe von 360.000 D-Mark aufgenommen und später teilweise zurückgezahlt oder in Schenkungen umgewandelt.
Seit 1991 wird das Kulturzentrum der ufaFabrik vom Land Berlin gefördert. Inzwischen wird etwa ein Drittel der notwendigen Mittel in Form staatlicher Förderung eingenommen, auch für die soziale Arbeit.
Die einzelnen Betriebe auf dem Gelände finanzieren sich selbst und zahlen eine Miete an den Trägerverein, der sich teilweise an ihren finanziellen Möglichkeiten orientiert.
Organisationsform
Dachorganisation, Erbbaurechtsnehmer und Eigentümer sämtlicher Gebäude ist der Verein ufaFabrik Berlin. Mitglieder sind alle auf dem ufaGelände wohnenden Personen. Der Verein betreibt das Gästehaus und tritt gegenüber den eigenständigen Organisationen als Vermieter auf. Eigenständige Bereiche liegen in der Verantwortung folgender Institutionen:
- Internationales Kulturzentrum ufa-Fabrik e. V.
- ufaFabrik Circus e. V.
- Nachbarschafts-und Selbsthilfezentrum in der ufaFabrik e. V. (NUSZ) mit dem Kinderbauernhof
- Café Olé GbR
- Freie Schule in Berlin e. V.
Die ehemals hauseigene Bäckerei wurde inzwischen an eine Bioladen-Kette übergeben, die als Pächterin auch eine Ladenfiliale auf dem Gelände betreibt.
Anfangs fanden sämtliche Aktivitäten unter der Verantwortung eines einzigen Vereins statt. Später fanden zunehmend Aus- und Neugründungen statt. Heute existiert ein Geflecht von insgesamt 13 weitgehend voneinander unabhängigen Organisationen, die jedoch eng kooperieren.
Kommunikation
Insbesondere in den Anfangsjahren wendet sich die Gruppe stark nach außen. Straßenshows sind wichtige Einnahmequellen und Öffentlichkeitsarbeit in einem. Es wird bewusst mit Vertretern aller Parteien verhandelt. Mit einem Plakat mit der Aufschrift „Herzlich willkommen“ wird die Besetzung einer geschlossenen Gruppe erfolgreich als Inbetriebnahme durch die Bürger inszeniert.
Es findet eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit statt, ein Informationsbüro mit Vorverkaufskasse ist tagsüber besetzt.
Teamentwicklung
Café, Schule, Kulturbetrieb, Zirkus und Nachbarschaftszentrum haben jeweils eigene Strukturen und betreiben in unterschiedlicher Weise Teamentwicklung. Der Verein ufaFabrik Berlin als Zusammenschluss der Bewohner ist übergeordnete Entscheidungsinstanz und trifft sich nach Bedarf. Er hat jenseits der Mitgliederversammlung keine formalen Strukturen zur Teamentwicklung herausgebildet.
Wichtiges Gremium ist auch die Leitungsrunde, in der die Verantwortlichen der verschiedenen Bereiche regelmäßig zusammenkommen.
Immobilien/Planen/Bauen
Das Gelände wird seit Beginn durch die Bewohner instandgesetzt und -gehalten. Anfangs vor allem mit aufwändigen Arbeitseinsätzen durch alle dort Aktiven. Heute liegt die Geländeverwaltung beim ufaFabrik Berlin e.V. Die einzelnen Bereiche unterstützen und kooperieren bei Bauprojekten, welche die von ihnen genutzten Teile betreffen.
Nachbarschaft und Stadtteil
Die ufaFabrik wird von allen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten genutzt. Im Jahr kommen rund 300.000 Besucher.
Das Nachbarschafts- und Selbsthilfezentrum ist ein wichtiger sozialer Träger im Bezirk. Abgesehen vom Kinderbauernhof und einem Familientreffpunkt mit vielen Kursangeboten findet ein Großteil der Angebote außerhalb des ufa-Geländes statt, vom Betrieb mehrerer Kindertagesstätten über Familienberatungsstellen bis zur Ehrenamtsvermittlung.
Stolpersteine
In den ersten Jahren flossen alle Einnahmen in eine Kasse, aus der sämtliche Ausgaben bestritten wurden. Ohne privates Geld zu leben, wurde dabei nicht als Verzicht wahrgenommen, sondern war Ausdruck der persönlichen Verbundenheit der Gruppe. Das wirtschaftliche Überleben und der Aufbau des Projektes waren dadurch überhaupt nur möglich. Die Besteuerung auch interner Vorgänge durch das Finanzamt erzwang jedoch eine strukturelle Ausdifferenzierung, die in ihrer Folge auch die Einführung von Gehältern und Mieten notwendig machte. Der Anspruch, in gemeinsamer Ökonomie zu leben, war damit gescheitert.
Ohne den großen Kreis an Unterstützern und die niedrige Pacht wäre ein wirtschaftliches Bestehen in den Anfangsjahren unmöglich gewesen. Heute bezieht die ufaFabrik für den kulturellen und sozialen Teil der Arbeit eine Basisförderung von der öffentlichen Hand. Ein Umstand, der zu Beginn als Abhängigkeit abgelehnt wurde.
Die ufaFabrik hätte heute sehr viel mehr finanziellen Spielraum, wenn sie das Gelände damals nicht gepachtet, sondern gekauft hätte.
Dem engen finanziellen Rahmen wurde mit vergleichsweise geringen Gehältern und ehrenamtlicher Arbeit für die Aktiven begegnet. Wer seit bald 40 Jahren in Vollzeit für das Projekt ufaFabrik gearbeitet hat, wird deshalb im Alter nur über einen geringen Rentenanspruch verfügen.
Wen oder welche Unterstützung brauchen wir noch?
2018 wird eine Anpassung des Erbbauzinses aufgrund der Immobilienwertsteigerung stattfinden, die die Finanzen des Projekts belasten wird. Bis dahin werden kreative Finanzkonzepte zu erarbeiten sein.
Links & Downloads
Autor: Hannes Heise, Michael Stellmacher